Nachdenken, wo andere Urlaub machen: Markus Rieksmeier lebt in Teneriffa und ist freier Wirtschaftsjournalist und Versicherungsfachwirt. Er schreibt seit Jahren über Versicherungsthemen und ich schätze seine Artikel sehr.
Ich freue mich deshalb, Ihnen diesen ‒ aus der Perspektive des Branchen-Insiders geschriebenen ‒ Gastartikel präsentieren zu können:
Deutsche Sparer stehen auf Garantien
Wie viel Spargeld kommt bei Fondspolicen & Friends nach der Garantie hinterher an der Börse an? Zu wenig, sagen Verbraucherschützer. Nun hat die Schwerpunkt-Verbraucheranwaltschaft in Hamburg die Allianz wegen arg optimistischer Werbeversprechen abgemahnt. Hierzu berichtete der Versicherungsbote – dort bin ich Autor – und erntete zu ergänzend vorgelegten Berechnungen Kritik aus Richtung der Policen verkaufenden Vermittlerschaft.
Es handelte sich in der Sache um Zinsrechnungen der Frankfurt School of Finance. Darauf folgte das große Aber zum Thema aus Richtung der Policen verkaufenden Vermittlerschaft.
The winner is?
Sozialministerin Andrea Nahles, deren für die Firmenchefs garantiefreies Sozialpartnermodell zur Betriebsrente auf Versicherungskunden zielt und mit Recht Publikumspunkte einheimsen dürfte.
Für manchen Vermittler ("Experten" für Finanzen) sind Zins und Rechnung offenbar zu einfach – oder zu schwierig? Und hinzu kommt das Zusatzproblem für den Policenverkauf von morgen:
Jede Rechnung ist ohne Andrea Nahles gemacht. Die Ministerin will Beitragsgarantien zumindest bei Betriebsrenten in Luft auflösen. Exklusiv und möglichst ohne die Lebensversicherung in ihrem Sozialpartnermodell zuzulassen.
Dass flache Zinsen ein Kardinalproblem der Lebensversicherer sind, das ist inzwischen eine Binsenweisheit, die es fast nicht mehr lohnt, Artikeln wie diesem vorangestellt zu werden; sollte man denken.
Falsch gedacht! Logische Schlüsse, Berechnungen, die zeigen, wie dünn die Decke für die Versicherer geworden sind, Beitragsgarantien zu finanzieren, werden von einem Teil der Vermittler zum Teil abgelehnt oder gar mit Kommentartext zu Produkt- und Kapitalanlage-Prozessen versehen, der inhaltlich-fachlich nichts mit dem Problem Garantieaufbau zu tun hat.
66 oder gar 77 von 100 Euro für die Beitragssicherung
Die Frankfurt School of Finance hat (ganz elitäre Universität? Oder einfach nur pragmatisch?) einen Finanz-Taschenrechner in die Hand genommen und das gemeinsame Problem von Versicherern und Kunden erklärt, wenn Beiträge einer Rentenpolice garantiert werden sollen.
Oder müssen.
Das Garantie-Muss trifft bekanntlich auf Riester-Renten zu, weil es so im Gesetz steht. Riester-Geld muss sicher sein, sicher bleiben, basta. Und viele Deutsche, des Rechnens fremd und der gefühlt bösen Börse fern, wollen eine Beitragsgarantie auch in ihrer privaten, der nicht vom Staat geförderten Rentenpolice stehen haben. Sie sind es so von der Lebensversicherung gewohnt; bisher etwa 90 Millionen Policen mal.
Sichere Beiträge – ein Vertragsleben lang. Dazu errechnete die Frankfurt School of Finance (der Versicherungsbote berichtete) für einen 25-jährigen Menschen, der bis zu seiner Rente mit 67 jeden Monat 100 Euro spart, 66 Euro Kosten für die Garantie.
Diesen Betrag, 66 Prozent der Sparrate ihres Kunden, braucht der Versicherer, um mit 1,86 Prozent "Bezugszinssatz", der aktuellen Rendite guter zehnjähriger Staatsanleihen (zehnjährige Null-Kupon-Euro-Swap Raten), die Beitragssumme des Sparkunden zu garantieren.
Spart ein 40-Jähriger 100 Euro im Monat, dann braucht der Versicherer davon, wegen der kürzeren Laufzeit und weniger Zinseszins, bereits 77 Euro (siehe unten: Berechnungen 1 und 2).
Finanzfachleute? Ohne Ahnung
In Kenntnis dieser naturwissenschaftlichen Tatsache haben Versicherer keine andere Wahl als – wie in den Beispielen 25- oder 40-jähriger Neusparer – 66 oder 77 Euro von 100 Euro Monatsbeitrag des Kunden in die Hand zu nehmen und in Staatsanleihen zu investieren – oder ähnlich sichere, gar mündelsichere Papiere, etwa technisch abgezinste Zero Bonds zu kaufen.
Denn eines ist klar, spekulativ darf der Versicherer nicht anlegen, die Beitragsgarantie muss hart sein. Mit diesen klaren Voraussetzungen konfrontiert, kürzlich berichtet am Beispiel der wegen Werbung von Verbraucherschützern kritisierten Allianz "Index Select"-Rente, regte sich Widerstand einiger Versicherungsmakler.
Einige Versicherungsmakler meinten in Facebook-Fachgruppen, wegen des Beispiels "Index Select" der Allianz (das Unternehmen steht hier als Beispiel – aber nicht am Pranger!), deren Kapitalanlage-Prozess sei ja ganz anders und das Garantie-Problem betreffe dieses Produkt nicht.
Falsch.
Denn völlig unabhängig von jeglicher Art Produkt und egal welchem Typ Kapitalanlage, gilt für Beitragsgarantien: (Hier) Auch eine Allianz muss, wenn man 1,86 Prozent Zinsernte aus typischen Staatsanleihen unterstellt, mit den oben genannten hohen Garantiequoten aus dem Beitrag rechnen.
Geschwurbel
Unsere Beispiele von 66 oder 77 Prozent des Beitrags für 42 oder 27 Jahre Laufzeit gelten immer.
Sie stehen für die einfache Zinsmathematik, mit der 100 Euro Beitrag nach 42 oder 27 Jahren 100 Euro bleiben. Weil es vertragliche Garantien sind. Ein anderer Makler meinte, das als iCPPI bezeichnete (und Laien gegenüber kaum erklärbare) Modell etwa der Zurich Leben oder von DWS-Fonds mit durch Derivate auf- oder nachgebauten Wertsicherungsmodell sei von der Mathematik der Beitragsgarantie nicht betroffen.
Doch von den Anforderungen für Beitragsgarantie her schon.
Denn jede Produkt- und Kapitalanlage-Technik eines Versicherers kann erst dann "greifen", wenn die Garantien mit Beitrag bedeckt, bedient sind. Vorher nicht.
Denn erst nachdem die Garantie der Beiträge des Kunden gewährleistet ist, kann der Versicherer sodann völlig frei und kreativ am Kapitalmarkt das Rest-(!)-Geld des Beitrags seiner Sparer anlegen.
Ein anderer Makler kritisierte an den von der Frankfurt School of Finance vor- und vom Autor verifizierten Zahlen, die könne man "nicht pauschalieren". So ein Geschwurbel von Möchtegern-Experten. Dort wollte ich nicht Kunde sein, der 100 (oder 200 oder 300) Euro für die Rente vernünftig anlegen soll.
Der betreffende Kritiker, Finanz-"Profi"(?) tat dies, obwohl ihm die Berechnungen vorlagen.
Keiner von etwa 30 Kommentatoren auf Facebook, überwiegend Finanzfachleute, konterte die vorgelegten Zahlen mit Zahlen.
Nur mit Worten; nur mit Produkten. Dafür hat die Finanzindustrie gesorgt. Produkte haben die Vermittler drauf.
Textaufgaben, eben solche, mit denen Kunden laienhaft ihr Problem darstellen, beherrschen und wenden sich nur wenige Finanzprofis zu. Fragt man, dann bekommt man keine Antwort.
Liefert man diesen Experten Zahlen, die den Experten nicht gefallen, dann schildern die Experten, zugelassene Vermittler für Geld und Leben, ihre Bedenken in Worten.
Und wenn Andrea Nahles für die Beiträge bürgt?
Anders wäre es, wenn die Lebensversicherer eine Beitragsgarantie geben würden, dieses Versprechen gesicherter Einzahlungen aber gar nicht selbst einlösen müssten.
Vielleicht, weil es einen Bürgen gäbe, der im Notfall für den Versicherer und seine zugesagte Mindestleistung einsteht. So etwas gibt es? Das gibt es nicht! Noch nicht.
Bald will Bundessozialministerin Andrea Nahles diejenigen von Beitragsgarantie-Pflichten befreien, die Menschen einen Rente zusagen.
Bei ihrem geplanten Sozialpartner-Modell, besser bekannt als Nahles-Rente, sollen Chefs von ihrer Haftung für Betriebsrenten-Beiträge befreit werden. Haften soll die Allgemeinheit, der für Betriebsrenten einstehende Pensionssicherungsverein (PSVaG).
Und die Allianz?
Die Werbung der Allianz Lebensversicherung ruft den Verbraucherschutz auf den Plan.
Das Problem der Kunden heißt nicht vorhandene Rendite. Die Allianz wecke mit ihrer Werbung bei den Sparern "Fehlvorstellungen", kritisiert die Verbraucherzentrale Hamburg und hat den Versicherer nach Medienberichten nun abgemahnt.
Der Name des Problems lautet "Index Select", eine Rentenversicherung der Allianz.
Die Allianz Leben wirbt für ihre (auch) Fondspolice "Index Select" mit "hohen Wachstumschancen" durch die "Partizipation", also Beteiligung am europäischen Aktienindex Euro Stoxx 50, wobei das Unternehmen seinen Sparern nur die eingezahlten Beiträge in Summe garantiert.
Inzwischen bereits gut 400.000 Mal, berichtet "Spiegel Online", und dass die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) den Versicherer nun abgemahnt habe.
Index Select "intransparent"
Die Reklame des blauen Riesen unter den Geldeinsammlern der Assekuranz sei intransparent und geeignet, bei den Kunden "Fehlvorstellungen hervorzurufen", wird berichtet.
"Hohe Wachstumschancen" suggeriere Verbrauchern, ihr Spargeld gehe voll in den Kapitalmarkt. Dem ist tatsächlich nicht so. Nach Abzug der Abschlusskosten, innerhalb der ersten fünf Jahre immerhin insgesamt vier Prozent der gesamten geplanten(!) Beitragssumme, muss der Versicherer erst Vorkehrungen treffen, um die Beiträge des Kunden zum Ablauftermin hin zu sichern.
Und dann fließen eben, weil es technisch sein muss, bei einem 25-jährigen Kunden, der bis 67, also für die Rente spart, sage und schreibe 66 Prozent des Beitrags in ebenso bombensichere wie zinsarme Staatsanleihen.
Von einer wirklichen "Beteiligung" an einem Aktienindex kann bei dieser Quote kaum die Rede sein.
Von 100 Euro Spargeld monatlich bleiben nach Abzug von 66 Euro nur noch 34 Euro übrig. Davon sind anfangs (für fünf Jahre) anteilige Abschluss- und laufende Kosten abzuziehen.
Und der Ratenzuschlag von etwa 4,75 Euro. Jeden Monat.
Großteil der Beiträge in Staatsschulden einbetoniert
Es kommt bei dieser Kostenstruktur also kaum Geld an der Börse an, wo es Rendite erarbeiten könnte.
Ist der Sparer keine 25 mehr, sondern schon 40 Jahre alt, dann braucht es 77 von 100 Euro Sparrate, die etwa in zinsarme bis zinslose Staatsschulden solventer Staaten investiert werden müssen.
Um die Beiträge des 40-jährigen Kunden zum Rentenbeginn hin zu sichern, müssen also 77 Prozent seines Beitrags regelrecht einbetoniert werden. So gesehen auf ewig, der sogenannte Cash Lock.
Nun soll die Allianz Leben die von der Verbraucherzentrale Hamburg beanstandete Werbung unterlassen, wird von selbiger gefordert.
Bis zum 10. Juni soll der Versicherer seinen Werbeaussagen abschwören, vulgo eine Unterlassungserklärung an die VZHH schicken.
Vor allem soll der Versicherer die Begriffe "Indexpartizipation" oder "Indexbeteiligung" nicht mehr verwenden. Für die Allianz seien die Vorwürfe der Verbraucherschützer "in keiner Weise nachvollziehbar", zitiert "Spiegel Online" das Unternehmen.
Das Produkt "Index Select" werde den Kunden "ausführlich und anschaulich" erläutert.
Auch sei das Produkt "mehrfach von unabhängigen Marktbeobachtern wie dem Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften positiv bewertet worden".
Kritik an der Kommunikation, den Kosten und der Konstruktion seiner Policen musste die Allianz in dieser Woche nicht zum ersten Mal einstecken. An diesem Mittwoch erst attackierte der Bund der Versicherten das Unternehmen (der Versicherungsbote berichtete).
Berechnungen:
(ohne Gewähr, zum Teil Rundungen)
Berechnung 1
Sparrate, um für einen 25-jährigen Sparer die Beitragssumme garantieren zu können.
Beitrag 100 Euro monatlich, Eintrittsalter 25, Endalter 67, Laufzeit 42 Jahre. 1,86 % Zins (zehnjährige Staatsanleihen).
Endkapital = Beitragssumme (100 Euro x 12 Monate x 42 Jahre = 50.400 Euro).
Laufzeit: 504 Mon./42 Jahre
Zins: 1,86 %
Anfangskap.: 0
Rate: 66 (war gesucht)
Endkap.: 50.400 = Beitragssumme
Berechnung 2
Sparrate, um für einen 40-jährigen Sparer die Beitragssumme garantieren zu können.
Beitrag 100 Euro monatlich, Eintrittsalter 40, Endalter 67, Laufzeit 27 Jahre. 1,86 % Zins (zehnjährige Staatsanleihen).
Endkapital = Beitragssumme (100 Euro x 12 Monate x 27 Jahre = 32.400 Euro).
Laufzeit: 324 Mon. /27 Jahre
Zins: 1,86 %
Anfangskap.: 0
Rate: 77 (war gesucht)
Endkap.: 32.400 = Beitragssumme
Link
Die Studie der Frankfurt School of Finance: Garantien in der Altersvorsorge können sechsstelligen Eurobetrag kosten.
Der Finanzwesir meint
Ein faszinierendes Lehrstück darüber, wie teuer Planbarkeit ist. Es geht zwar immer um Sicherheit, aber gemeint ist Planbarkeit.
Der Preis der Planbarkeit ist abhängig vom Zeitraum. Planbarkeit von heute auf morgen ("klar komm’ ich morgen zum Grillen") ist preiswert.
Planbarkeit übers Jahr kann sogar richtig billig sein sein: Heute schon den Sommerurlaub fürs nächste Jahr buchen. Aber auch tückisch: "Vielleicht bin ich dann krank …" Also schnell die Reisekostenrücktrittsversicherung abgeschlossen und schon verschwindet ein Teil des Preisvorteils in den Absicherungskosten.
Mein ‒ vollkommen unbegründeter und rein bauchmäßiger ‒ Verdacht: Der Preis für die Planbarkeit steigt exponentiell mit dem Zeitraum.
Ich habe aber zwei Indizien:
- Je länger der Zeitraum, desto mehr Alternativ-Pfade gibt es, die die Zukunft einschlagen kann und desto mehr ist abzusichern. Sieht man gut am Navi: Wenn Sie 20 Kilometer fahren, kalkuliert das Ding ein paar hundert Pfade, fahren Sie dagegen von Hamburg nach München, sind es schnell mal weit über 20.000 Pfade.
- Jeder Euro, den ich heute in die Absicherung der Planbarkeit investiere, kann übermorgen keinen Zinseszins mehr abwerfen.