Aus der Pressemeldung:
"Comstage bringt mit dem Comstage Vermögensstrategie UCITS ETF (WKN: ETF701; ISIN: DE000ETF7011) einen passiven ETF-Dachfonds in Form eines Portfolio-ETF auf den Markt. Multi-Asset-Strategie Fonds, also vermögensverwaltende Mischfonds als Dachfonds sind gefragt, gerade auch mit ETFs. Bisher waren solche Fonds recht teuer. Der neue Comstage ETF ändert das."
Meine erste Reaktion: "Ach nö, Dachfonds, teuer, nutzlos, braucht kein Mensch."
Aber auf vielfachen Leserwunsch habe ich mir das Produkt dann doch einmal näher angesehen und einen Dreh gefunden, das Ganze nicht in eine öde Produktvorstellung abgleiten zu lassen.
Die Eckdaten
- Start: 12.04.2016
- Thesaurierend
- 10 Millionen Euro Fondsvolumen am 7. Juni 2016
- TER: 0,25 %
Das Produktversprechen
Comstage gibt zu Protokoll:
"Ein vielfach geäußerter Wunsch von Kunden: Eine breit gestreute Anlagelösung mit ETFs, die eine Vermögensaufteilung über unterschiedliche Anlageklassen mit ETFs ermöglicht.
Gebündelt in einem ETF. Außerdem sollte sie die Bedürfnisse der Investoren erfüllen, die auch schon mit einem einzigen Sparplan und einer geringen Sparsumme diversifiziert sein möchten.
Die Kosten des ETFs liegen bei 0,25% pro Jahr. Hinzu kommen die Kosten auf Portfolioebene von rund 0,24 %. Die Gesamtkostenquote liegt demnach bei 0,49 % pro Jahr."
Der Blick unter die Haube ‒ was ist drin, was ist dran?
Woraus besteht der Dachfonds?
- 60 % Aktien
- 30 % Anleihen
- 10 % Rohstoffe
Einmal im Jahr wird diese Anfangsaufteilung wiederhergestellt (Rebalancing). Weitere aktive Maßnahmen finden nicht statt. Also wahrlich passiv.
Der Vermögensstrategie-ETF investiert in zehn ETFs aus dem eignen Haus.
Jeder dieser ETFs, egal ob Aktien-, Anleihen- oder Rohstoff-ETF, ist ein synthetischer Swapper, der auf dem Comstage-Trägerportfolio basiert.
Das Wertpapier-Trägerportfolio setzt sich aus europäischen Blue-Chip-Aktien zusammen. Es wird bei Bedarf optimiert und angepasst.
Das Comstage-Trägerportfolio vom 03.06.2016
Comstage aktualisiert und veröffentlicht die Zusammensetzung des Wertpapier-Trägerportfolios der swap-basierten ComStage ETFs wöchentlich in einem PDF.
Kurzer Einschub: Was bedeutet noch mal synthetischer Swapper?
- synthetisch: Der ETF hält nicht die Wertpapiere des Index, sondern beliebige andere Wertpapiere.
- Swapper: Es gibt einen Tauschpartner, der die Index-Performance garantiert. In diesem Fall ist das die Commerzbank AG.
Comstage tauscht regelmäßig die Performance des Trägerportfolios gegen die Index-Performance ein.
Ist das nicht Betrug?
Nein, denn es wird zum einen offen kommuniziert. Steht alles auf der Comstage-Website.
Zum anderen: Wie glauben Sie denn, kommen Kostenquoten von unter 0,5 % für einen Dachfonds zustande?
Da ist rationelle Fertigung im industriellen Maßstab gefragt. Genau das liefert das Trägerportfolio.
Stellen Sie sich das Trägerportfolio wie einen großen See mit Zu- und Abflüssen vor. Quellen speisen den See, und das Wasser verlässt den See durch zahlreiche Abflüsse. Aber der See ist groß, und Zu- und Abflüsse heben sich fast auf, sodass der Wasserspiegel erstaunlich konstant bleibt.
Was passiert bei Comstage, wenn es wieder heißt: "Heute swappen wir."?
- Bei jedem ETF wird geprüft: Hast sich das Trägerportfolio besser entwickelt als der Index oder war es umgekehrt? In unserem Beispiel haben sich der DAX und der MSCI Nordamerika schlechter entwickelt als das Trägerportfolio, also fließt Geld ins Trägerportfolio. Beim Treasury-Future und dem Rohstoff-ETF war es umgekehrt, sie bekommen beim Tausch Geld, das aus dem Trägerportfolio abfließt.
- Da sich alle ETFs auf das gleiche Trägerportfolio stützen, werden die Geldströme bankintern kostengünstig verrechnet.
- Nur der überschießende Betrag muss dann durch Käufe oder Verkäufe des Trägerportfolios ausgeglichen werden (ein bisschen schwankt der Wasserspiegel eben doch).
Sehr praktisch das Ganze. Synthetische ETFs müssen sich nicht damit herumplagen, Dividenden aus aller Herren Länder zu vereinnahmen und dann wieder anzulegen. Sie tauschen einfach und sind fertig. Da entfällt viel operativer Nervkram.
Was ist mit der Steuer?
Synthetische Swapper sind reine Derivatgeschäfte. Es fallen keine Quellensteuern an, da keine Ausschüttungen oder ausschüttungsgleiche Erträge entstehen.
Vorteil: Steuerlich haben Sie keinen Aufwand.
Nachteil: Da der Index ein Netto-Total-Return ist, unterliegen Sie der maximalen Quellensteuerbelastung und können sich auch nichts zurückholen. Wo nichts ist, kann auch nichts zurückgefordert werden.
Netto-Total-Return bedeutet: Die in den Index reinvestierten Nettodividenden entsprechen den jeweiligen Bruttodividenden abzüglich einer fiktiven Quellensteuer. Aktuell findet hierbei der maximale Quellensteuersatz Anwendung, dem ausländische domizilierte institutionelle Investoren ausgesetzt sind.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Apple ist Teil des MSCI Nordamerika. Sie zahlen auf die Apple-Dividende 30 % US-Quellensteuer und dann noch einmal beim Verkauf des ETFs die deutsche Quellensteuer. Sie profitieren nicht vom deutsch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, das es Ihnen erlauben würde, die Hälfte der US-Quellensteuer auf die deutsche Kapitalertragssteuer anzurechnen.
Die Aufteilung
Nr. | ETF | WKN | Anteil | Typ | TER | gewichtete TER |
---|---|---|---|---|---|---|
Aktien-ETFs | 60 % | |||||
1. | MSCI North America | ETF113 | 15 % | thesaurierend | 0,25 % | 0,038 % |
2. | STOXX Europe 600 | ETF060 | 15 % | thesaurierend | 0,20 % | 0,030 % |
3. | MSCI Pacific | ETF114 | 10 % | thesaurierend | 0,45 % | 0,045 % |
4. | MSCI Emerging Markets | ETF127 | 10 % | thesaurierend | 0,25 % | 0,025 % |
5. | DAX | ETF001 | 5 % | thesaurierend | 0,08 % | 0,004 % |
6. | MDAX | ETF007 | 5 % | thesaurierend | 0,30 % | 0,015 % |
Anleihen-ETFs | 30 % | |||||
7. | 10Y US-Treasury Future | ETF570 | 10 % | thesaurierend | 0,20 % | 0,020 % |
8. | iBOXX EUR Liquid Sovereigns Diversified Overall TR | ETF500 | 10% | thesaurierend | 0,12 % | 0,012 % |
9. | iBOXX EUR Germany Covered Capped Overall TR | ETF540 | 10% | thesaurierend | 0,12 % | |
Rohstoffanlagen | 10 % | |||||
10. | Commerzbank Commodity ex-Agriculture EW Index TR | ETF090 | 10 % | thesaurierend | 0,30 % | 0,030 % |
Gesamt-TER der ETFs | 0,231 % |
Kosten | TER |
---|---|
ComStage Vermögenstrategie ETF | 0,25 % |
ETFs, die der Dachfonds erwirbt | 0,23 % |
jährliche Gesamtkosten | 0,48 % |
Comstage gibt die Vergütungen für die einzelnen ETFs, die der Dachfonds erwirbt, sogar mit 0,24 % an und kommt damit für das erste Geschäftsjahr auf geschätzte Gesamtgebühren in Höhe von 0,49 % pro Jahr.
Zwischenfazit Kosten
Die Kosten sind korrekt angegeben. Keine Selbstverständlichkeit in der Finanzbranche.
Der Aktienanteil
Regionen
Ich habe den Vermögensverwaltungs-ETF mit dem Morningstar X-Ray durchleuchtet, um herauszufinden, wie die Regionenverteilung ist.
Region | Comstage Vermögensfonds | ACWI | 70/30 World/EM | Vierer-BIP* |
---|---|---|---|---|
Europa | 39,56 % | 24,11 % | 22,68 % | 35,24 % |
Amerika | 29,75 % | 57,05 % | 47,49 % | 34,12 % |
Asien | 30,69 % | 18,83 % | 29,83 % | 30,64 % |
*Vierer-BIP meint "Gewichtung nach BIP mit vier ETFs: 30 % Europa, 30 % Nordamerika, 10 % Pazifik, 30 % Schwellenländer"
Gewichtung innerhalb des Aktienanteils
ETF | Gewichtung |
---|---|
MSCI North America | 25 % |
STOXX Europe 600 | 25 % |
MSCI Pacific | 16,7 % |
MSCI Emerging Markets | 16,7 % |
DAX | 8,3 % |
MDAX | 8,3 % |
Fazit
Letztendlich alles im Rahmen, Europa ein bisschen dick, die USA ein bisschen dünn. Im Vergleich mit dem Vierer-BIP:
- Pazifik etwas höher auf Kosten von Europa und Amerika.
- Emerging Markets halbiert zu Gunsten von DAX und MDAX.
Aber seit Meb Faber wissen wir: "Your Buy and Hold allocation doesn’t matter". Kein Grund, jetzt die Messer zu wetzen.
Der Anleihenanteil
10Y US-Treasury Future
Dieser ETF verfolgt eine Strategie, die auf der Wertentwicklung des 10-Year Treasury Note Future basiert.
Fragt sich, was ist ein 10-Year Treasury Note Future?
Lassen Sie uns den Begriff in zwei Fragen aufteilen.
- Was ist eine 10-Year Treasury Note?
- Was ist ein Future?
Treasury Note
Eine Treasury Note ist eine US-amerikanische Staatsanleihe mit einem festen Zinssatz und einer Laufzeit zwischen einem und zehn Jahren. Eine 10-Year Treasury Note ist nichts weiter als eine US-Staatsanleihe mit einer zehnjährigen Laufzeit.
Future
Mit Terminkontrakt oder Future wird die börsengehandelte Form eines Termingeschäfts bezeichnet.
In unserem Fall handelt es sich um ein Zins-Future. Der Terminkontrakt ist ein sogenanntes Derivat.
Derivat bedeutet hier: "abgeleitet von einem Basiswert". Der Basiswert hier sind US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit.
Staatsanleihen werden an der Börse gehandelt. Sinken die Zinsen, steigt der Wert einer Staatsanleihe. Steigen die Zinsen, so sinkt der Kurs einer Staatsanleihe. Mit Hilfe eines Terminkontraktes sichere ich diese Schwankungen ab. Ich erwerbe heute das Recht, in der Zukunft eine Staatsanleihe zu einem bestimmten Preis zu kaufen.
- Der ETF wird steigen, wenn die Zinsen im Bereich der 10- jährigen US-Staatsanleihen fallen
- Der ETF wird fallen, wenn die Zinsen im Bereich der 10- jährigen US-Staatsanleihen steigen
Im Kern setzt dieser ETF eine Hedging-Strategie um, die auf dem Einsatz von Finanz-Derivaten beruht. Das ist schon mal ziemlich synthetisch.
Der Clou: Diese Strategie wird dann nicht durch den Kauf der entsprechenden Futures umgesetzt, sondern wie gehabt mittels Trägerportfolio und Swap.
Letztendlich bildet die Commerzbank Terminkontrakte auf US-Staatsanleihen mittels europäischer Blue Chips ab.
iBOXX EUR Liquid Sovereigns Diversified Overall TR
Dieser Index bildet die Gesamtheit der liquidesten Staatsanleihen ab, die von Regierungen der Eurozone emittiert werden. Der Index deckt alle Laufzeitkategorien der in der Eurozone begebenen Staatsanleihen ab. Innerhalb des Index werden die einzelnen Anleihen auf Basis ihres ausstehenden Volumens gewichtet.
Der Index umfasst aktuell 42 Staatsanleihen aus 11 Ländern. Die Top 3 sind romanische Länder und machen die Hälfte des Index aus: Frankreich (20,06 %), Italien(15,53 %) und Spanien (14,96 %).
Auf Platz vier: Deutschland mit 13,23 %. Das Schlusslicht Luxemburg steuert gerade mal 0,69 % bei.
iBOXX EUR Germany Covered Capped Overall TR
Der Index bietet Zugang zu den in Euro begebenen, deutschen Pfandbriefen mit Investmentgrade. Das Besondere am Pfandbrief: Seine Grundlagen sind gesetzlich und nicht nur vertraglich geregelt. Das Pfandbriefgeschäft der Pfandbriefbanken unterliegt einer besonderen Aufsicht und der Gesetzgeber regelt die Wertermittlung für Immobilien, Schiffe und Flugzeuge, die als Sicherheit für die ausgelegten Darlehen dienen.
Der Index umfasst 25 Positionen. Unter anderem Pfandbriefe der Landesbank Hessen-Thüringen, der Münchener Hypothekenbank und der Landesbank Baden-Württemberg.
Fazit
Beim doppelt synthetischen US-Treasury Future bin ich skeptisch. Braucht man den wirklich? Derivate im RK1-Anteil?
Was die beiden iBOXXe angeht: Keine Firmenanleihen, keine Hochzins-Bonds ‒ grundsätzlich können diese Anleihen den Job als risikoarmer Teil (RK1) des Portfolios übernehmen.
Aber als synthetischer Swapper hält keiner dieser ETFs auch nur eine Anleihe. Das wird alles über das Trägerportfolio abgebildet.
Gerade im RK1-Anteil wird aber oft eine physische Replikation gewünscht. Die ETFs sollen auch wirklich die Wertpapiere des Index kaufen.
Bei Anleihen-ETFs aus dem RK1-Bereich ist das auch viel einfacher möglich als bei Aktien-ETFs.
- RK1-Anleihen-ETFs umfassen nur wenige Dutzend Positionen.
- Die Schuldner sind entweder Industriestaaten oder ‒ bei Pfandbriefen ‒ Banken in Industrieländern.
- Das Volumen der Anleihen ist groß (Hunderte von Millionen oder gar Milliarden).
Große liquide Märkte und wenige Positionen, das hält die Transaktionskosten und damit die Kostenquote niedrig.
ETFs auf RK1-Anleihen sind deshalb ganz gut über direkte und vollständige Replikation darstellbar.
Sie müssen entscheiden, ob es für Sie ok ist, wenn die Performance europäischer Staatsanleihen mithilfe europäischer Blue Chips abgebildet wird.
Beim RK1-Anteil haben die Profis einen systembedingten Nachteil: Sie müssen in Anleihen investieren, während wir Privatanleger auf die renditestärkere Variante Tages- und/oder Festgeld ausweichen können.
Wer als Profi Barbestände parken möchte, zahlt Minuszinsen, während wir Privatanleger von den Kundengewinnungs- und Kundenbindungs-Aktionen der Banken profitieren.
Der Rohstoffanteil
Bei der Auflage hieß der ETF noch Comstage Commodity Index. Dann gab es ein großes, politisch motiviertes Gezeter und alle landwirtschaftlichen Rohstoffe flogen aus dem Index.
Nun besteht der Index zu je einem Drittel aus Öl und Gas, Edelmetallen und Industriemetallen und muss auf die Diversifizierung durch Agrarrohstoffe verzichten.
Ich habe in meinem Rohstoff-Artikel detailliert dargestellt, warum ich nicht viel von Rohstoffen halte.
Nr. | Rohstoff | Gewichtung |
---|---|---|
Öl und Gas | 35,68 % | |
1. | Natural Gas Future | 6,25 % |
2. | Gas Oil Future | 10,07 % |
3. | Oil Brent Future | 9,90 % |
4. | Oil WTI Light Crude Future | 9,46 % |
Edelmetalle | 33,01 % | |
5. | Silver Future | 8,40 % |
6. | Platinum Future | 8,36 % |
7. | Gold Future | 8,18 % |
8. | Palladium Future | 8,07 % |
Industriemetalle | 31,3 % | |
9. | Zinc LME Future | 9,11 % |
10. | Aluminium LME Future | 7,45 % |
11. | Copper LME Future | 7,44 % |
12. | Nickel LME Future | 7,30 % |
Meine inhaltliche Bewertung
Ich hätte es einfacher gemacht. DAX, MDAX, US-Treasuries und Rohstoffe raus. Bleiben vier Aktien-ETFs und zwei Anleihen-ETFs. Reicht auch.
5 % sind eh die Nachweisgrenze für die Größe einer Position. Darunter hat man nur noch Kosten, aber keinen Hebel.
Ein Beispiel: Die 5%-Position eines 1.000-Euro-Depots verdoppelt sich
- Relativ gesehen ein ganz beachtliches Plus von 100 %.
- Absolut gesehen habe ich statt 1.000 Euro jetzt 1.050 Euro im Depot.
Dieses Portfolio ist
- komplex genug, dass es kompetent wirkt => Ui, 10 ETFs, das trau ich mir nicht zu.
- einfach genug, so dass man es verstehen kann. Denn was ich nicht verstehe, kaufe ich nicht.
Man kennt das ja aus vielen Bereichen. Einfach ist am schwersten. Das schaffen die meisten Experten nicht.
Kann natürlich auch sein, dass der Vertrieb gesagt hat
- Wir brauchen den DAX & MDAX, denn das spricht den Home Bias der Kundschaft an. Ich finde es immer wieder interessant. Jede Leser-Mail eines Deutschen, Österreichers oder Schweizers in der steht: "Mir ist der MSCI World zu US-lastig", wird in den Kommentaren der einschlägigen US-Blogs gekontert: "Ich lege rein US-zentriert an, dieses Europa-Zeug braucht doch kein Mensch".
- Wir wollen Rohstoffe, denn die gehören einfach dazu. Das erwartet der Kunde.
Auch die Kunden huldigen viel zu oft dem Glaubenssatz "Mehr ist besser". Auch wenn ‒ gerade bei Rohstoffen ‒ Kapazitäten von Buffett bis Kostolany "Nein" sagen.
So ein Produkt durchläuft ja viele Iterationszyklen und ist am Ende doch ein Kompromiss.
- Produktentwickler sind wie Ingenieure. Sie wollen zeigen, was geht und was sie drauf haben. Deshalb gerne mal einen ETF mehr.
- Vertrieb und Marketing wollen ein vermarktbares Produkt. Das bedeutet: Lieber evolutionär als revolutionär. Wenn der Kunde eine zu große Transferleistung vollbringen muss, kauft er nicht: "Wie, keine Rohstoffe?". Der Vertrieb muss die Glaubenssätze der potenziellen Kundschaft bedienen.
- Dem Vorstand soll’s auch gefallen. Das beste Produkt der Welt wird nie das Licht der Welt erblicken, wenn die Hierarchen ihre wertvollen und hilfreichen Hinweise nicht genügend gewürdigt sehen.
Würde der Finanzwesir dieses Produkt kaufen?
Nein. Ich brauche dieses Produkt nicht. Ich würde es kaufen, wenn die ETFs sich nicht auf die Netto-Dividenden-Indizes, sondern auf die Brutto-Variante beziehen würden.
Keine Quellensteuer zahlen - das wäre interessant und hätte einen Hebel.
Würde der Finanzwesir vom Kauf abraten?
Nein. Ich finde, der Vermögensverwaltungs-ETF ist ein solides Einsteiger-Produkt. Es gibt zwei harte Kriterien, die jedes Produkt erfüllen muss
- breit diversifiziert => das ist er
- geringe Kosten => hat er auch
Dann kommt erst einmal lange nichts und dann kommen die ganzen Befindlichkeiten wie:
- Kann ich den auch replizierend haben?
- Warum gibt’s den nur thesaurierend?
- Geht das auch weniger US-lastig?
- Wann kommt mein Bier?
Der Vermögensverwaltungs-ETF bietet maximale Diversifizierung zum kleinen Preis und ist via Sparplan auch operativ sehr einfach.
Aktuell notiert ein Anteilsschein bei gut 100 Euro. Das bedeutet: Für 100 Euro
- habe ich über 1.000 Firmen im Depot,
- bin an gut 60 Staatsanleihen und Pfandbriefen beteiligt,
- habe ich 12 Rohstoffe am Start.
Wer keine 100 Euro monatlich übrig hat, nutzt einen der kostenlosen Sparpläne bei der Comdirect oder bei S-Broker, der Sparkassen-Plattform.
- Mindestsparsumme bei der Comdirect: 25 Euro
- Mindestsparsumme bei S-Broker: 50 Euro
Damit gibt es kein Argument mehr gegen einen ETF-Sparplan.
Schauen wir doch mal, wie viel Geld wir brauchen, wenn wir uns diese Mischung selbst zusammenrühren wollen. Ich hatte keine Lust, zehn ETFs prozentual zurechtzurütteln, deshalb habe ich mich auf den Anleihen-Anteil beschränkt. Mein Ziel: Ein Drittel (33 %) für jeden ETF. Ich habe es so halbwegs hinbekommen und bin dabei gut 1.300 Euro losgeworden.
ETF | Anteilspreis | Anteile | Summe | Gewichtung |
---|---|---|---|---|
10Y US-Treasury Future | 91,20 € | 5 | 456,00 € | 34 % |
iBOXX EUR Liquid Sovereigns Diversified Overall TR | 158,94 € | 3 | 476,82 € | 36 % |
iBOXX EUR Germany Covered Capped Overall TR | 199,63 € | 2 | 399,26 € | 30 % |
Gesamtsumme Anleihen | 10 | 1.332,08 € | 100 % |
Die Anleihen stellen 30 % des Anlagevolumens, das bedeutet, ich brauche 4.440 Euro, um den ganzen Vermögens-ETF nachzubauen. Ich vermute, dass Sie eher bei 5.000 bis 5.500 Euro herauskommen, denn der DAX-ETFs wird Ihnen noch ordentlich Kopfzerbrechen machen.
5 %, das ist nicht mehr als eine Prise Dax in der Mischung. Dumm nur, dass die DAX-Anteilsscheine so grob gestückelt sind. 101 Euro kostet ein DAX-Anteilsschein. Ein MDAX-Schein ist schon für 20 Euro zu haben und auch die anderen ETFs kosten nur zwischen 30 und 70 Euro pro Anteilsschein.
Um das sauber zu rebalancen, braucht man schon mehr als ein Dummerchen.
Mein Fazit
Was sind die Alternativen?
- Vollsynthetische Swapper schlecht finden und beim Tagesgeld bleiben.
- Die Auswahl nicht optimal finden, es selbst machen wollen und dann ist die Lernkurve doch zu steil und man bleibt beim Tagesgeld.
- Die Kosten zu hoch finden, ewig rumsuchen, endlich die billigste Kombi finden, dann feststellen, dass nur die Hälfte der ETFs sparplanfähig ist und dann gib man’s doch auf, weil dieses operative Heckmeck nervt. Und schon wieder Tagesgeld. Oder eine raffinierte Versicherungskonstruktion mit einem Steuerspareffekt, den Schäuble 2018 kassiert. Aber die Kosten von 1,85 % bleiben. Kostenfreaks lockt man am besten mit Steuersparvorteilen und kann sie dann ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.
Alles ist besser als Tagesgeld oder eine irre Versicherungskonstruktion.
Meine Meinung zum Vermögensstrategie-ETF: Eine niederschwellige Einstiegsdroge für alle, die schon immer mal was mit ETFs machen wollten, aber bisher nicht wussten wie.
Optimal für die Börsen-Desensibilisierung
Legen Sie einen Sparplan an und besparen Sie ihn mit 25 Euro monatlich.
Nach sechs Monaten schauen Sie nach: Wie lief’s? Was ist drin im Depot? Mehr oder weniger als 150 Euro? Wie fühlt sich das an?
Mein Wunschszenario für Sie: Es sollten rund 135 Euro, also ein Verlust von 10 % sein. Wenn Sie dann nach einem Jahr ins Depot schauen, sind die Kursverluste hoffentlich aufgeholt und das Depot steht bei 320 Euro.
Sie werden feststellen: Es ist möglich, Kursverluste zu überleben. Man wird weder wahnsinnig noch depressiv. Die Börse ist wie die Nordsee. Manchmal ein bisschen rau, aber das Wasser kommt immer wieder.
So werden Sie Stück für Stück immun gegen die Kursschwankungen. 15 Euro Verlust reichen aus, um emotional gepackt zu werden, stellen Ihren Kampfgeist aber nicht so auf die Probe, dass Sie verkaufen.
Auch hier macht die Dosis das Gift. Kleine Börsenverluste immunisieren, große töten.
Das große Ganze
Die ganze Robo- und Vermögensverwaltungs-Szene steckt noch in den Kinderschuhen, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Der Weg, den ich und all die anderen DIY-Anleger zurückgelegt haben, ist viel zu steinig und beschwerlich. Das kann nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zur industrialisierten Vermögensverwaltung sein.
Mich erinnert das an die Erzählungen meines Opas, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Eiergroßhandel betrieb und deshalb schon früh motorisiert war. Zwischengas, Motor vorglühen und dann natürlich ein Lenkrad von den Dimensionen eines Saturnringes. Die Servolenkung war noch nicht erfunden.
Und heute: Kurz vorm autonomen Fahren.
Wir sind heute finanztechnisch in der Zwischengasphase. Man muss alles selbst machen und man muss genau wissen, wo man hingreift. Wer nicht aufpasst, kann viel kaputt machen.
Wenn man diese steile Lernkurve erst einmal gemeistert hat und den Truck lässig durch die Haarnadelkurven von Hausse und Baisse lenkt, ist das gut fürs Ego, aber: Wir haben auch eine Menge Lebenszeit in diese Könnerschaft investiert.
Muss das wirklich sein?
Was spricht gegen autonomes Fahren? Oder besser: Was spricht dagegen, auf dem Rücksitz zu sitzen, die Assetallokation nach vorne durchzugeben und sich dann wieder den wichtigen Dingen des Lebens zu widmen.
So machen das alle wirklich Mächtigen. Kein US-Präsident und kein Papst wurden jemals am Lenkrad gesichtet.
Was wir brauchen und wo wir auch hinkommen werden: Wir brauchen mehr industrialisierte Prozesse in der Finanzindustrie.
Eine kleine Zeitreise
Die Voodoo-Phase
Das Prä-Internet-Zeitalter. Man war dankbar, dass kaufen zu dürfen, was der Finanz-Schamane der örtlichen Sparkasse im Köcher hatte.
Das handwerkliche Zeitalter
Selbst ist der Mann (und die Frau). Wir informieren uns im Internet und suchen uns im Finanzbaumarkt (auch Online-Broker genannt) Bretter, Steine und Mörtel zusammen, aus denen wir das Haus unserer Finanzen bauen wollen. Aber manchmal fehlen uns die fachlichen Fähigkeiten oder wir haben einen schlechten Tag. Deshalb sind manche Teile unsere Hauses ein bisschen windschief.
Aktuell leben wir im handwerklichen Zeitalter. Alles ist noch ziemlich individuell und eher Manufaktur als Industriebetrieb.
Meisterliche Arbeit wird oft romantisiert. Ja, ja, die gute alte Zeit, als sich der Meister noch persönlich um alles kümmerte. Doch nur, wer im Mittelalter einen meisterlichen Schuhmacher kannte, hatte gute Schuhe ‒ alle anderen bekamen nasse Füße.
Ist heute ja nicht anders. Nirgendwo schwankt die Arbeitsqualität so stark wie im Handwerk. Einfach in den gelben Seiten einen Elektriker heraus suchen ‒ das hat immer noch was von Russisch Roulette.
Das Industrie-Zeitalter
Wir kaufen eine nach ISO 9001 normierte und kontinuierlich Six-Sigma-prozessoptimierte Systemlösung. In der Luftfahrt war das der Zeitpunkt, als die "tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten" durch Linienpiloten ersetzt wurden. Dieses Industrie-Zeitalter wird kommen. In fünf bis zehn Jahren wird es hoffentlich so weit sein.
Die Kostenvorteile der industrialisierten Prozesse sind einfach zu groß.
Ziel muss es sein, ein Produkt von stets gleichbleibender Qualität und Güte anzubieten.
Wenn Sie jeden Monat eine Fertigpizza kaufen und diese im Labor analysieren lassen, wird die Januar-Pizza sich nicht von der Dezember-Pizza unterscheiden. Dabei hat Wagner im Laufe des Jahres den Mehllieferanten gewechselt, einen neuen Ofen eingebaut, 15 Mitarbeiter haben gekündigt und 20 neue wurden eingestellt.
Dank Six Sigma: Der Pizzaqualität ist das egal. Selbst wenn der Produktionsleiter kündigt, macht das nichts.
Genau das werden wir in der Finanzbrache auch sehen. Keine Finanzmagie mehr, sondern nach ISO-Handbuch durchrationalisierte Prozesse, die kostengünstig in einem gesichtslosen Business-Distrikt auf den Philippinen abgewickelt werden.
Wenn erst einmal der Preiskampf so einsetzt, wie wir das von der Mobilfunkbranche kennen, dann werden wir noch Kostenquoten zwischen 0,05 % und 0,15 % für Produkte wie den Vermögensverwaltungs-ETF sehen.
Die reine Vermögensverwaltung wird zur Commodity. Verlässlich, jederzeit verfügbar und preiswert.
Wie bei allen Commodity-Anbietern wird das Geld über Skaleneffekte und Kostendrückerei gemacht, siehe Lidl oder Kik.
Die Vermögensverwaltung ist nur ein Baustein. Über sinnvolle Zusatzleistungen wird das Geld verdient. Kein Robo wird jemals diese Fragen beantworten können:
- Soll ich ein Depot für meine Kinder anlegen?
- Wie strukturiere ich den Ausstieg aus dem Erwerbsleben?
- Welche Versicherungen brauche ich?
- Wie setzte ich eine Teilzeitselbstständigkeit auf?
- Was muss ich beim Immobilienkauf beachten?
- Welche Steuergestaltungsmöglichkeiten habe ich?
Für gute Berater ein weites Feld individueller Wünsche, das sich nie in ein Schema pressen lässt.
Seien wir froh, dass wir die Vermögensverwaltung industrialisieren können. Dann bleibt mehr Zeit für solche Themen.