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Leserfrage: Wenn Häuslebauer auf Kredit spekulieren

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Leser T. fragt

Meine Frau und ich überlegen uns ein Haus zu kaufen. Unabhängig von dem viel diskutierten Für und Wider dieser Aktion interessiert mich das Thema der Sondertilgung während der Kreditphase.
Wir würden den Kredit natürlich so planen dass er nicht unsere gesamten finanziellen Ressourcen in Anspruch nimmt so dass wir voraussichtlich übers Jahr noch etwas Geld übrig hätten.

Die Frage ob man dieses Geld tendenziell eher in die Sondertilgung des Kredits oder in anderweitige Sparaktivitäten (beispielsweise ETFs) stecken sollte, konnte ich bei meiner Recherche im Netz nicht befriedigend beantworten.
Überall schreibt man dass man auf jeden Fall mit allem tilgen sollte, was geht, weil die Kreditzinsen meist höher sind als die Anlagezinsen. Das scheint mir in der Vergangenheit gegolten zu haben (speziell wenn die Alternative zur Tilgung das Sparbuch oder Tagesgeldkonto ist, wovon bei den von mir gefundenen Quellen gerne ausgegangen wird) aber akut und vor allem für die Börse gar nicht zuzutreffen.
Der Zinssatz für einen Kredit läge in unserem Fall zur Zeit voraussichtlich irgendwo zwischen zwei und drei Prozent. Wenn man den Zeitraum des Kredits betrachtet (wohl nicht unter 20 Jahren), würde ich vermuten, dass sich mit dem übrig bleibendem Geld am Aktienmarkt durchaus eine Rendite jenseits der drei Prozent erwirtschaften lässt.
Am Ende des Kredits hätte man dann auf diesem Wege etwas angespart, so dass man vielleicht nicht einmal mehr eine Anschlussfinanzierung der Restschuld benötigen würde sondern diese direkt abbezahlen könnte.

Der Finanzwesir antwortet

Leser T. und seine Frau planen ein Arbitrage-Geschäft. Ihr Szenario:

  • Schulden sondertilgen: Zwischen zwei und drei Prozent Rendite
  • Sondertilgung am Aktienmarkt investieren: Rendite jenseits der drei Prozent.

Die Sondertilgungen kommen aus dem versteuerten Einkommen und sind - bei einer selbstgenutzten Immobilie - auch nicht steuerlich absetzbar. Die Sondertilungsrendite ist eine Nachsteuerrendite.
An der Börse muss ich die Rendite um 26,375% (Quellensteuer plus Soli) verringern. Das bedeutet:

Nachsteuerrendite Vorsteuerrendite
3% 4%
4% 5,4%
5% 6,8%
6% 8,1%

Was ist denn realistisch? Eher die 3% oder doch die 6%?

Dem Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts entnehmen wir für den Zeitraum von 1965 bis 2015 41 rollierende Zehn-Jahres-Renditen. Die Renditen liegen zwischen -0,8% und 16,5% für den DAX. Das sind die Extremwerte. Der Median liegt bei 8,7%, das arithmetische Mittel bei 8,2%. In sechs von 41 Dekaden lag die Rendite unter 3%, das sind knapp 15% aller Dekaden.
Für die rollierenden Dekaden des EuroStoxx der Jahre 1986 bis 2015 erhalten wir ähnliche Hausnummern.

Halten wir fest: Die Vermutung

"Es lässt sich durchaus eine Rendite jenseits der drei Prozent erwirtschaften."

scheint realistisch zu sein.

Lassen Sie uns nun das Szenario etwas verändern. Die reiche Erbtante ist gestorben und hat Leser T. und seiner Frau eine schöne Summe vermacht. Einzige Bedingung: Das Geld muss zur Abzahlung des Hauskredits verwendet werden. Und zwar auf der Stelle. Ja, so sind sie die Erbtanten, aber was will man machen.
Also marschieren T. und seine Frau zur Bank, handeln die Vorfälligkeitsentschädigung etwas herunter und zahlen die Bank aus. Jetzt gehört das Haus ihnen.
Sie sind aber schlaue Leute und haben einen Trick gefunden, mit der sie den letzten Willen der Erbtante umgehen können:

Sie machen Schulden!

Leser T. und seine Frau belasten das Haus jährlich mit der Sondertilungssumme und investieren das Geld am Aktienmarkt.

Bevor Sie jetzt Zeter und Mordio schreien: Ich habe nur das ursprüngliche Szenario wieder hergestellt.
Mal davon abgesehen, dass es nicht sehr fein ist, Erbtanten derart auszutricksen: Würden Sie sagen: "Pah, tot ist tot und im übrigen heiligt der Zweck die Mittel?"

Worum es wirklich geht

Für Privatleute geht es nur bedingt darum reich zu werden. Die Hauptaufgabe ist es, nicht arm zu sterben.
Höchste Priorität hat die Abwehr des Schwarzen Schwans, anders gesagt:

Risiko ist das, was übrig bleibt, wenn Sie glauben, an alles gedacht zu haben.

Für T. und seine Frau geht es nicht um die Extrarendite, sondern darum, einen möglichen Ruin abzuwenden.
Ach, so ein Blödsinn, Finanzwesir, was soll denn da passieren?
Dann fragen Sie doch mal die Suchmaschine Ihres Vertrauens, was ihr zu "lineares Fortschreiben von Ereignissen" einfällt.
Google antwortet mit "Strategische Fehler im Komplexitätsmanagement".

Das ist der "Alles-bleibt-wie-es-ist"-Bias. Wir neigen dazu die Zukunft einfach linear in die Zukunft zu extrapolieren. Klappt nur leider nicht immer.

  • Krankheit: Hallo, ich bin pumperlgesund. Klar, bis der Arzt Ihnen eröffnet: "Mit der neuen Chemo kriegen wir das schon in Griff. Sie haben bestimmt noch fünf bis sechs Jahre."
  • Unfall: In der Schweiz ist der Haushaltsunfall das Risiko Nummer zwei, wenn es darum geht querschnittsgelähmt zu werden (Quelle).
  • Arbeitslosigkeit: Meine Firma ist extrem solide, ich verstehe mich gut mit meinem Chef und den Kollegen. Die Firma wird aufgekauft oder geht pleite, weil ein Hauptkunde nicht zahlt. Der neue Chef ist ultrafies. Was ein Ökonom ganz lässig als "schöpferischen Zerstörung nach Schumpeter" bezeichnet ist nur mittelwitzig, wenn man mitten drin steckt.
  • Scheidung: Ich kenne kein Paar, das mit der festen Absicht heiratet, sich nach sieben Jahren einen Rosenkrieg zu liefern. Passiert trotzdem immer wieder.

Konzentrieren Sie sich weniger darauf, ob etwas schief geht, sondern darauf, was passiert, wenn es schief geht.

Wie effektiv sind die Sonderzahlungen?

Können die Sonderzahlungen überhaupt den Ruin abwenden?

Ich habe diese Annahmen getroffen:

  • Kreditvolumen: 200.000 Euro
  • Dauer der Sollzinsbindung: 10 Jahre
  • Gebundener Sollzinssatz: 2,50% pro Jahr (Leser T. sprach von Kreditzinsen zwischen 2% und 3%)
  • Anfängliche Tilgung: 2,00%
  • Auszahlungsdatum: 01.07.2016
    • Variante eins: ohne Sonderzahlungen
    • Variante zwei: 10.000 Euro jährliche Sondertilgungen. Sondertilgungen von 5% des Kreditbetrages jährlich sind bei den meisten Banken ohne zusätzliche Kosten möglich.
  ohne Sonderzahlung mit Sonderzahlung Differenz
Höhe der Rate 750,00 € 750,00 €  
Getilgter Betrag zum Ende der Sollzinsbindung 45.390,67 € 157.572,89 € 112.182,22 €
Restschuld zum Ende der Sollzinsbindung 154.609,33 € 42.427,11 € 112.082,22 €
Summe der geleisteten Zinszahlungen 44.609,33 € 32.427,11 € 12.182,22 €
Rate bei Sollzinsanstieg von 2% am Ende der Sollzinsbindung 1.007,68 € 820,71 € 186,97 €
Darlehensdauer bei gleich bleibendem Zins Dez. 2048 Jul. 2031  
Gesamtlaufzeit des Darlehens 32 Jahre 6 Monate 15 Jahre 1 Monat 17 Jahre 5 Monate

Welchen Einfluß hat die Tilgungsrate?

Tilgung Restschuld zum Ende der Sollzinsbindung
1% 177.305,07 €
2% 154.609,33 €
3% 131.913,54 €
4% 109.219,16 €
5% 86.523,41 €
6% 63.827,61 €
7% 41.133,15 €

2% Tilgung und Sonderzahlungen entspricht in etwa einer 7% Tilgungsrate.
Wenn ich mich für 7% Tilgung entscheide, muss ich jeden Monat 1.583,33 Euro zurückzahlen. Das ist brutal.
Bei 2% Tilgung sind es nur 750 Euro. Die 10.000 Euro spare ich monatlich mit 833 Euro an. Wenn weder Auto noch Waschmaschine kaputt gegangen sind, sondertilge ich mit allem, was ich habe, ansonsten nur mit einem Teil oder in schlimmen Jahren eben gar nicht.

Weshalb habe ich mich für eine Tilgung von 2% entschieden?

In Zeiten niedriger Zinsen benötigen Sie deutlich länger, bis Sie mit einer Tilgung von 1% Ihr Darlehen zurückgezahlt haben: Während Sie bei einem Zinsniveau von 6% mit einem Tilgungssatz von 1% bereits nach rund 30 Jahren schuldenfrei sind, steigt die Darlehensdauer bei einem Zinsniveau von 4% bei gleichem Tilgungssatz bereits auf rund 40 Jahre an.

Warum ist das so?
Die konstante Kreditrate zur Begleichung Ihres Annuitätendarlehens besteht aus Zins und Tilgung. Während der Laufzeit verringert sich der Zinsanteil der Rate, da die Restschuld des Darlehens immer mehr abnimmt. Da die Rate konstant bleibt, steigt der Tilgungsanteil durch den ersparten Zinsanteil kontinuierlich an. Bei niedrigen Zinsen reduziert sich der Zinsanteil langsamer - und dadurch steigt auch der Tilgungsanteil langsamer als bei höheren Zinsen. Die logische Konsequenz: Sie benötigen bei gleicher anfänglicher Tilgung länger, um das Darlehen zurückzuzahlen.

Das führt zu der Empfehlung: Wählen Sie im aktuellen Umfeld eine Tilgung von mindestens 2%.

Quelle: Tilgungsrechner der Interhyp

Die Sonderzahlungen gehen an die Börse

Wie wird das Risiko des möglichen Ruins von der Börse honoriert?
Jedes Jahr gehen 10.000 Euro an die Börse. Ich orientiere mich am DAX-Renditedreieck. Die Börse liefert 8% netto, macht nach Abzug der Steuer 6% netto.
In meinem Modell kaufe ich am 1. Januar eines jeden Jahres für 10.000 Euro einem marktbreiten ETF und erhalte am Jahresende die Marktrendite. Die Börse

Jahr Summe am Jahresanfang Summe am Jahresende
1 10.000 € 10.600 €
2 20.600 € 21.836 €
3 31.836 € 33.746 €
4 43.746 € 46.370 €
5 56.370 € 59.753 €
6 69.753 € 73.938 €
7 83.938 € 88.974 €
8 98.974 € 104.913 €
9 114.913 € 121.807 €
10 131.807 € 139.716 €

Nach zehn Jahren hat diese Strategie T. knapp 140.000 Euro eingebracht. Davon müssen wir 100.000 Euro abziehen, denn die hat T. selbst eingezahlt, bleiben immerhin noch 40.000 Euro übrig.

Die Restschuld beträgt rund: 155.000 Euro. 140.000 haben T. und sein Frau im Depot. Damit können sie ihren Kredit nach zehn Jahren praktisch ablösen. Bei ihrer Sparleistung sind 15.000 Euro nach 18 Monaten abgetragen.
Hätten Sie sich für die Sondertilgungen entschieden, wären noch gut 42.000 Euro abzuzahlen gewesen.
T. und seine Frau haben in zehn Jahren 27.000 Euro gut gemacht. Da kann man nur sagen: Gut gemacht!

Was rät der Finanzwesir?

Wäre T. ein Homo oeconomicus würde ich sagen: "Laß Excel sprechen. Pack Deine Zahlen in die Tabellenkalkulation und wenn es so oder besser rauskommt, wie in meinem Beispiel und Dir eine eine 85%ige Chance auf Erfolg ausreicht, dann mach es."
Ich vermute: Weder T. noch seine Frau sind eiskalte Rechner, sondern Menschen mit all ihren Zweifeln. Sie werden die Frage "reichen 85%?" nicht einmal am Anfang des Prozesses beantworten, sondern mindestens einmal pro Jahr beim Block ins Depot.
Im schlimmsten Fall führt jeder Börsenbrennpunkt zu einer Neubewertung der Lage.

In beiden Fällen ist eine erhebliche Sparleistung gefragt.

Wie fühlt sich die Sparleistung "Sondertilgung" an?

  1. Jeden Monat werden automatisiert 833 Euro direkt nach dem Gehaltseingang auf ein spezielles Tagesgeldkonto überwiesen.
  2. Am Tag X wird die gesamte Summe als Sondertilgung überwiesen.
  3. Fläschchen Sekt aufmachen und anstoßen - wieder ein Meilenstein erreicht.

Ein sehr berechenbarer Prozess. Berechenbar heißt "psychologisch wertvoll", denn unser Gehirn mag es, die Kontrolle zu haben. Oft genug ist das nur eine Illusion, aber hier ist Sicherheit drin, wo Kontrolle drauf steht.

Wie fühlt sich die Sparleistung "Aktiensparen" an?

  1. Jeden Monat werden automatisiert 833 Euro direkt nach dem Gehaltseingang auf das Sparplankonto überwiesen.
  2. Am Jahresende schaut man sich das Depot an und ist entweder begeistert oder verzweifelt.
    • Die Börse ist gut gelaufen: "Komm, lass uns mal eine Kleinigkeit verkaufen, nur 1.000 Euro. Für den nächsten Urlaub. Das holen wir schon wieder rein."
    • Die Börse ist eingebrochen: "Unsere Felle schwimmen davon! Wir hören auf damit, das wird doch alles nichts."

Am schlimmsten sind langjährige Bröckelbörsen. Die Kurs erodieren schleichend. Drei Jahre lang sind von 10.000 eingezahlten Euros am Jahresende nur noch 8.500 da.
Was tun?
Stur weiter machen oder doch den Sparplan stoppen und dann die Verdoppelung und die Verdoppelung der Verdoppelung in den Jahren vier und fünf verpassen?

Leser T. schreibt selbst

"Das scheint mir aber akut und vor allem für die Börse gar nicht zuzutreffen. […] Wenn man den Zeitraum des Kredits betrachtet (wohl nicht unter 20 Jahren)…."

Mit anderen Worten: T. macht eine Fristentransformation.

  • Betrachteter Zeitraum Börse = akut
  • Betrachteter Zeitraum Kredit = 20 Jahre

Was, wenn die Börse auf einmal und ganz akut keinen Bock mehr hat?
Pünktlich zum Zehnjähringen - wenn die Zinsbindung ausläuft und die Verhandlungen mit der Bank anstehen - feiert sie keine neuen Höchststände mehr, sondern nimmt sich eine Auszeit und macht Urlaub im Süden.

Das ist Kostolanys

"An der Börse ist 2+2 = 5-1"

Wer an einem fixen Termin am Verhandlungstisch sitzen muss, kann sich das minus Eins nicht leisten.

T. schrieb

"… oder in anderweitige Sparaktivitäten (beispielsweise ETFs) stecken sollte."

Genau das sind ETFs nicht. ETFs sind eine Investition und kein Sparbuch. Ebenfalls keine Sparanlagen sind venezolanische Anleihen.
Generell gilt: Alles was mehr Rendite bringt als ein Tagesgeldkonto ist keine Sparanlage mehr.

Das Hauptrisiko beim Kauf einer Immobilie ist es, in die Zwangsversteigerung zu geraten.
Ziel muss es sein, die Schulden so schnell wie möglich auf ein Niveau abzusenken, bei dem man die Restschuld bei Family & Friends zusammenbetteln kann.

Fazit - der schwarze Schwan muss weg

Für Arbitragegeschäfte sollte man eine ausreichende Flughöhe haben. Das Nest für die eigene Familie befindet sich maximal auf Baumwipfelhöhe. Da ist nicht viel Luft nach unten.

Zum Weiterlesen

How a Financial Pro Lost His House

Der zentrale Satz des ganzen Artikels:

"But the worst thing was my sense of complete failure and powerlessness when I realized that things were out of control and that it was my fault."

Wie oben schon angesprochen: Es gibt wenige Dinge, die unser Gehirn mehr hasst als den Kontrollverlust.


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