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Zinsjäger: Mit Autopilot ins Unglück

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Die Zinspiloten haben mir diese Pressemeldung zugeschickt:

"In den vergangenen 13 Monaten haben unsere Kunden mehr als 1 Milliarde Euro in Tages- und Festgeld über Zinspilot investiert. Weltweit hat es kein anderes Fintech-Unternehmen aus dem Geldanlagebereich in derart kurzer Zeit geschafft, diese magische Marke zu erreichen. Zinspilot verhilft seinen aktuell rund 35.000 Kunden zu deutlich höheren Zinserträgen auf ihre Tages- und Festgeldeinlagen. So profitieren Sparer bei Zinspilot im laufenden Jahr bisher von einem durchschnittlichen Tagesgeldzinssatz von 1,26 Prozent. Das entspricht einem deutlichen Plus von exakt 100 Basispunkten gegenüber dem Marktdurchschnitt in Deutschland, der aktuell lediglich bei 0,26 Prozent liegt."

Die Quintessenz dieser Meldung: Zinspilot hat 35.000 Menschen erfolgreich auf den Pfad des "Weiter so" gelockt und verhindert, dass sie sich finanziell bilden.

Wie komme ich dazu, mein Geld auf einem Zinsportal anzulegen?

Weil ich faul bin und keinen Bock habe, mich aus der selbstverschuldeten finanziellen Unmündigkeit zu befreien. Statt dessen wird gejammert: Früher war alles besser! Da gab es noch Zinsen. Jetzt werde ich enteignet. Ganz schlimm ist das. Ich fühle mich gemobbt.

Die Lösung: Recherche im Neuland. Eintippen der Worte "Tagesgeldvergleich" und "beste Zinsen" in die Suchmaschine. Fündig werden, beim Zinsportal aufschlagen, jubeln (es gibt sie noch, die tapferen Robin Hoods, die Retter des geknechteten deutschen Sparers) und dann das ganze Geld flink nach Malta zum Zinssieger transferiert.

Die Analyse im Detail

Eine Milliarde Euro geteilt durch 35.000 Anleger bedeutet: Jeder Anleger hat im Schnitt 28.571,43 € angelegt. Das ist der Mittelwert. Aus Gesprächen weiß ich, dass es Leute gibt, die 50.000 Euro - in Einzelfällen bis zu 70.000 Euro - bei diesen Zinsportalen anlegen.
Ist das viel? Ich habe zwei Zahlen für Sie:

  • Das Pro-Kopf-Geldvermögen in Deutschland im Jahr 2015: 47.681 Euro, Quelle
  • Die Struktur des Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland im Jahr 2015: 36,5% sind in Spar-, Sicht- und Termineinlagen angelegt, Quelle

Das bedeutet die Deutschen legen pro Kopf rund 17.400 Euro in Tags- und Festgeld an. Erste Erkenntnis: Die gut 28.000 Zinsland-Euro sind mehr als das 1,6 fache der durchschnittlichen Pro-Kopf-Sparsumme.

Jetzt kommt der Sparerkompass 2014 der Bank of Scotland ins Spiel. Die BoS hat gefragt:

"Wenn Sie einmal Ihre Bargeldreserven zu Hause und die Ersparnisse aus Ihren Geldanlagen grob zusammenrechnen (ohne selbst genutzte Immobilien und ohne Lebens- und Rentenversicherungen): Welcher Kategorie würden Sie sich am ehesten zurechnen?"

Hier die drei Top-Kategorien. Diese Leute können es sich leisten gut 28.000 Euro in Richtung Zinsportal zu schicken.

Kategorie Anteil
25.000 bis unter 50.000 € 10%
50.000 bis unter 100.000 € 6%
100.000 € und mehr 5%

Diese Zahlen kombinieren wir mit einer sehr bezeichnenden Frage von der "So-geht’s"-Seite der Zinspiloten:

"Kann ich als Anleger in beliebiger Höhe anlegen?
Ihre gesamte Anlagesumme auf Zinspilot ist natürlich nicht beschränkt. Doch bitte beachten Sie, dass je Anlagebank möglicherweise ein Höchstbetrag von 1 Mio. € pro Anleger gelten kann. Wenn die Anlagesumme pro Anlagebank begrenzt ist, darf der Gesamtbetrag aller Anlagen bei dieser Bank 1 Mio. € nicht übersteigen, auch wenn er auf mehrere Anlagen verteilt ist. Möchten Sie in so einem Fall über diese Summe hinaus Geldbeträge anlegen, sollten Sie eine Aufteilung auf weitere Anlagebanken bei Zinspilot vornehmen."

Eine Frage nach der Mindestanlagesumme gibt es nicht. Statt dessen die Frage: "Kann ich die Anlagesumme für ein Angebot erhöhen". Da suppt die Gier doch durch jede Ritze.

Zinspilot Typische Konsumenten-Werbung: Die niedrigsten Instinkte werden angesprochen.

Ey, isch geb’ Dich Tankgutschein, Digger! Wer ist den so wahnsinnig eine Anlageentscheidung im Wert von knapp 30.000 Euro von einem 25€-Tankgutschein abhängig zu machen?

Das mit den Jubiläumszinsen kenne ich eher vom örtlichen Möbelhändler. Die ziehen auch immer irgendwelche irrelevanten Jubiläen an den Haaren herbei, wenn sie mal wieder ihre Werbekanonen abfeuern wollen.
Was ich nicht verstehe: Was hat das Alter eines Vertriebspartners mit der Höhe der Zinsen zu tun, die eine maltesische Bank zahlt? Wie kalkulieren die das eigentlich?

Für mich sieht das nach einem fetten Klumpenrisiko aus. Gierige und unwissende Sparer schieben einen Großteil ihrer Anlagen ins vermeintliche Zins-Eldorado und sagen: "Zurück in die Zukunft", denn:

Früher gab es noch Zinsen

Ja, früher, da war alles besser, da konnte man sein Geld noch via Sparbuch vermehren. Ich habe mich als Zinsarchäologe betätigt und Ihnen diese historischen Zahlen aus den Untiefen des Internets mitgebracht.

Jahr 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Sparbuchzinsen 4,4% 4,6% 2,9% 2,8% 2,0% 1,3% 2,1% 1,4% 0,5%
Inflationsrate [1], [2] 6,0% 5,4% 2,0% 2,6% 1,8% 1,4% 1,6% 1,1% 0,3%
Realzinsen -1,6% -0,8% 0,9% 0,2% 0,2% -0,1% 0,5% 0,3% 0,2%

Inflationsrate versus Sparzins Quellen [1], [2]

Realzins 1992- 2015

Excel hilf! Was sagt man dazu?
Wie wär’s damit: Finanzungebildete aller Länder nehmt die rote Pille und hört auf zu wimmern.
Das legendäre "Früher" in dem die Einhörner lebten, die sich den Feenstaub der Rendite aus der Mähne schüttelten hat nie existiert. Es war noch nie möglich als Sparer auf einen grünen Zweig zu kommen.
Das ist aber auch gar nicht die Aufgabe von Festgeld. Festgeld hat nur eine Aufgabe: Fest zu sein. Nicht zu schwanken und berechenbar zu sein. Festgeld ist die Verteidigung und die schießt auch keine Tore.
Die Rendite macht der Angriff und das sind die Aktien. Wer einen Verteidiger zum Torjäger drillen will, wird bestenfalls Mittelmaß erreichen. Sie wissen schon: Stärken stärken, statt Schwächen schwächen.

Ok, keine Einhörner, was dann?

Das Zins-Eldorado wird bevölkert von Banken wie der Fimbank oder der Austrian Anadi Bank.

Austrian Anadi Bank

Die Austrian Anadi Bank ist eine kleine Bank, die der indische Geschäftsmann Dr. Sanjeev Kanoria aus der Konkursmasse der Hypo Alpe Adria herausgekauft hat. Die Hypo Alpe Adria steht im Verdacht, seit 1999 an zahlreichen Finanz- und Korruptionsaffären in Österreich und Kroatien maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Dann kam die Subprime-Krise und brach der Hypo Alpe das Genick.

Ok, was will ein indischer Geschäftsmann mit einer österreichischen Bank? Ich vermute: Er braucht einen Euro-Staubsauger, um seine Geschäfte in Indien zu finanzieren. Zumindest würde ich das Geschwurbel auf der Web-Site der Bank so interpretieren:

"Durch die strategische Kooperation mit SREI Infrastructure Finance Ltd. nimmt die Bank mit neuen Finanzprodukten eine Diversifikation der Produktschienen vor und kann das Potential im internationalen Geschäftsfeld ausschöpfen.
Die Partnerschaft bietet die erforderliche lokale Expertise für Unternehmen, die sich international von Europa nach Asien oder umgekehrt ausrichten wollen. Die Bank kann damit eine Brückenfunktion einnehmen.

Wer noch ein klitzekleines bisschen weiter gräbt, findet das hier:

"In "Das erste HETA-Opfer" berichtete das Wirtschaftsmagazin trend letzte Woche (Ausgabe 15/2016) über eine schwierige Eigenkapital-Situation bei der AUSTRIAN ANADI BANK AG, weshalb die Erstellung der 2015er Bilanz ohne Kapitalspritze nicht möglich sein könnte. Die Bank hatte das Filialgeschäft der ehemaligen Hypo-Alpe-Adria-Bank International AG übernommen und hängt über ihre anteilige Haftung an der Pfandbriefstelle der österreichischen Landes-Hypothekenbanken mit im HETA-Debakel. Die 16 Pfandbriefstellen-Institute und Gewährträger mussten nach dem FMA-Zahlungsmoratorium für 1,2 Mrd. Euro Verbindlichkeiten der HETA Asset Resolution AG einspringen. Für ANADI macht das eine Rechnung von 77 Mio. Euro.
Quelle

Fimbank

Diese Bank gehört zu 80% den beiden Banken Burgan Bank und United Gulf Bank, die wiederum zur kuwaitischen KIPCO Group gehören. Die Fimbank verdient ihr Geld mit der Finanzierung von Handelsgeschäften.
Das Fitch-Rating ist B (siehe Fimbank at a Glance). B bedeutet nicht weiter als: Ramsch. Fitch selbst drückt es etwas gewählter aus:

"Highly Speculative - Hochspekulative Anlage. Bei Verschlechterung der Lage sind Ausfälle wahrscheinlich"
Quelle

Da nützt es auch nichts, wenn Zinspilot das maltesische Länderrating hochhält. Denn soo toll ist A nun auch nicht, denn nach A kommt B und das ist Ramsch. Ein AA wäre besser, am besten wäre der Goldstandard AAA. Wie oben bereits angesprochen: Es geht doch hier um den sicheren Anteil des Depots.
Wenn ich Rendite will, dann lasse ich mich nicht mit mickrigen 1,26% abspeisen. Dann will ich die langjährige Aktienrendite von rund 8% haben.

Ein A-Rating bedeutet:

"Upper Medium grade - Sichere Anlage, sofern keine unvorhergesehenen Ereignisse die Gesamtwirtschaft oder die Branche beeinträchtigen."

Die Fimbank ist eine Handelsbank und damit abhängig vom Auf- und Ab des Welthandels.

  1. Wie viel Bruttosozialprodukt können die gut 400.000 Malteser wohl aufbringen, wenn die Bank Probleme bekommt?
  2. Sind Sie sicher, dass keine unvorhergesehenen Ereignisse die maltesische Gesamtwirtschaft beeinträchtigen?
  3. Wo Sie gerade schon recherchieren: Was wissen Sie über die Burgan Bank, die United Gulf Bank und die KIPCO Group?

Nun frage ich Sie

Das hier war keine Recherche, sondern ein bisschen Rumgeklicke. Google hat mir diese Ergebnisse mehr oder minder vor die Füße geworfen. Trotzdem: Glauben Sie, dass das auch nur einer der Zinsjäger gemacht hat?

Zinspilot schreibt:

"Das entspricht einem deutlichen Plus von exakt 100 Basispunkten…

Deutlich, vielleicht. Aber ausreichend? Wie viel Geld gibt es denn mehr?

Anlagesumme Zinspilot-Vorteil
28.571 € 285 €
50.000 € 500 €
70.000 € 700 €

Für den aktienfreien deutschen Sparer bedeutet das: Er lässt sich für eine Handvoll Euro auf Risiken ein, die um ein vielfaches höher sind, als die des Aktienmarktes und fühlt sich dabei noch sicher. Die Bibel nennt diese Deals: Seine Erstgeburt um ein Linsengericht verkaufen.

Fazit

Die Zinsportale sind eine typisch deutsche Erfolgsstory: Vermögen kombiniert mit finanziellem Unwissen und panischer Risikoscheu.
Für mich sind Zinsportale genau so schlimm wie die Angebote des grauen Kapitalmarktes, denn sie gaukeln den Menschen vor ein "Weiter so" wäre möglich. Diese Illusion nimmt den Leidensdruck und verhindert, dass die Menschen den Tatsachen ins Auge sehen und anfangen sich um ihre Finanzen zu kümmern.
Letztendlich verstärken die Betreiber dieser Portale das Problem der Altersarmut. Mit Zinsen konnte man noch nie ein Vermögen aufbauen. Jeder Euro, der in ein Zinsportal fließt, kann nicht an der Börse angelegt werden.
Wer mit 40 meint, er sei ein schlauer Zinsjäger, wird mit 67 Flaschen sammeln.

Manchmal ist der Weg des leichtesten Widerstands der falsche und es muss eben Udo Bölts’ unsterbliches: "Quäl dich, du Sau!" sein.


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