Leser O. schreibt
Ich habe Ihr Buch gelesen und fand es sehr gut. Ich habe bei der Consorsbank den Comstage MSCI World Fond und bespare ihn seit 2017 alle zwei Monate mit 2.000 - 2.500 €. Ich habe erst 2.500 € eingezahlt. Was mich aber beunruhigt ist, dass ich bereits 68 € Verlust habe.
Soll ich mit dir da Gedanken machen? Die Schwankungen sind schon extrem. Experten sagen, er macht immer Rendite.
Der Finanzwesir antwortet
"Soll ich mit dir da Gedanken machen?"
Ja, auf jeden Fall, denn Verdrängen verschlimmert das Problem.
Die Faktenlage
- Eingezahlt: 2.500 €
- Verlust: 68 €, das sind 2,72 % des eingesetzten Kapitals (Kaufkosten vernachlässigt) oder annualisiert: 32,64 % p.a. (Leser O. hat mir am 31.01. geschrieben).
- Bewertung: Das ist extrem.
Was tun?
An den Zahlen können wir nichts drehen, aber was ist mit der Bewertung. Ist das wirklich extrem oder einfach normal für diese Anlageklasse? Wie können wir diese Frage beantworten? Die beste Medizin gegen postfaktische Gefühle sind Zahlen. Also besorgen wir uns welche. MSCI stellt dankenswerterweise die Monatsrenditen des MSCI World seit dem Start im Dezember 1969 zur Verfügung.
Ich habe mich für die Netto-Variante in US Dollar entschieden.
So definiert MSCI diese Index-Variante:
"Net total return indexes reinvest dividends after the deduction of withholding taxes, using (for international indexes) a tax rate applicable to non-resident institutional investors who do not benefit from double taxation treaties."
Quelle MSCI Index Definition
- Warum die Netto-Variante? Weil die meisten ETFs auf dieser Index-Variante beruhen.
- Warum Dollar und nicht Euro? Weil die Euro-Zeitreihe nur bis zum 31.12.1998 zurückreicht. Ich brauche hier aber eine möglichst lange Zeitreihe.
Grenzen der Berechnungen
Ich betrachte weder Transaktionskosten noch die Inflation oder Steuern. Im realen Leben werden Sie die folgenden Renditen nicht erreichen. Deshalb verzichte ich weitestgehend auf Nachkommastellen, denn das wäre eine Scheingenauigkeit, die diese Berechnung nicht hergibt.
Ist ein Verlust von 2,72 % in einem Monat extrem?
Wir schauen uns die Zeitreihe an.
- Dezember 1969 bis Januar 2017: 566 Monate, macht 565 Renditeschwankungen
- Zahl der Monate mit negativer Rendite: 219 entspricht 39 %
- Zahl der Monate mit positiver Rendite: 346 entspricht 61 %
- Rendite-Mittelwert: 0,8 %
- Quartil 0 = schlechteste Rendite: -19 %
- Quartil 1 = 25% aller Werte liegen unter diesem Wert: -1,7 %
- Quartil 2 = Der Median: 1,1 %
- Quartil 3 = 75% aller liegen unter diesem Wert: 3,3 %
- Quartil 4 = beste Rendite: 14,6 %
Nun stellt sich die Frage nach der Häufigkeit. Wie häufig kommen die einzelnen Renditen vor?
Wie lese ich dieses Diagramm? Gut 10 Prozent aller Renditen liegen zwischen null und einem Prozent. Das ist der erste grüne Balken. Wir erkennen: Es handelt sich um eine Glockenkurve.
- 33 % der positiven Monatsrenditen liegt im Bereich zwischen null und drei Prozent.
- 24 % der negativen Monatsrenditen liegen zwischen null und minus drei Prozent.
Für Leser O. bedeutet das: Minus 2,72 Prozent sind kein Extremwert, sondern eine ganz normale Schwankungsbreite. Plusminus drei Prozent pro Monat ist ein typisches Verhalten für diesen Index.
Erst wenn die Werte zweistellig werden, ist eine Sturmwarnung angebracht. Interessant in diesem Zusammenhang: Es gibt mehr Bullen- als Bärenmonate, aber wenn der Bär zuschlägt, schlägt er mit minus 19 % härter zu als der Bulle, dessen Punch nur ein Plus von 14,6 % erreicht.
Das deckt sich mit meiner Erfahrung: Wenn es rauf geht, geht es halt so vor sich hin. Aber wenn der Crash kommt, kommt er oft hart und scharf. Was man in Monaten aufgebaut hat, verliert man in Tagen. Begleitet von medialem Trommelfeuer für eine schöne Verkaufspanik.
Nehmen wir den Dax des Jahres 2016: Im ganzen ersten Quartal das große Gejammer:
- N-TV: "Fast 500 Punkte runter: Dax beginnt 2016 mit einem Crash"
- Manager Magazin: "Warum der deutsche Aktienmarkt stärker leidet als andernorts"
- Börse Frankfurt: "Schwächster Dax-Jahresstart seit 25 Jahren"
Und was wurde daraus? Die Medienkarawane zog weiter und der Dax konnte endlich in Ruhe sein Ding machen. Im Januar 2017 kam dann die Pressemeldung, die keinen interessierte: Der Dax hat das Jahr 2016 mit ganz soliden und durchschnittlichen 6,9 % Rendite abgeschlossen.
Was ist mit Währungsschwankungen?
Der MSCI World besteht aus 14 Währungen vom US-Dollar bis zum Neuen Israelischen Schekel. Mit über 50 % ist der Dollar das Währungsschwergewicht des Index, der Euro ist mit 13 % vertreten. Macht es nicht einen Unterschied, ob wir alles in Dollar umrechnen oder in Euro?
"Schau’n mer mal" würde der Kaiser sagen. Erst mal rüber zu MSCI und die Rohdaten heruntergeladen. Die Zeitreihe beginnt im Dezember 1998 und endet 218 Monate später im Januar 2017. Es ist wieder der Netto-Index. Einmal in Euro und einmal in US Dollar.
Quartilvergleich
Kennzahl | MSCI in Euro | MSCI in Dollar |
---|---|---|
Quartil 0 = schlechteste Rendite | -11,7 % | -18,96 % |
Quartil 1 = 25 % aller Werte liegen darunter | -1,55 % | -1,95 % |
Quartil 2 = Median | 0,90 % | 0,87 % |
Quartil 3 = 75 % aller Werte liegen darunter | 2,90 % | 3,17 % |
Quartil 4 = beste Rendite | 11,44 % | 11,22 % |
Summe der Monate mit positiver Rendite | 138 (64 %) | 127 (59 %) |
Anteil der Monate "Rendite zwischen 0 % und 3 %" | 39 % | 31 % |
Summe der Monate mit negativer Rendite | 79 (36 %) | 90 (41 %) |
Anteil der Monate "Rendite zwischen -3 % und 0 %" | 18 % | 24 % |
Was sagt uns das?
- Die Euro-Variante hat einen Schubs ins Positive. Schlechteste Rendite bei -11,7 % statt bei knapp -19 %. Weniger Monate mit negativer Rendite und einen geringeren Anteil an Renditen zwischen -3 % und 0 %.
- Aber eigentlich macht das keinen Unterschied, denn wenn man sich den Median und das 3. Quartil anschaut, dann sind Euro- und Dollar-Variante wieder gleichauf. Woran liegt’s? Die US-Variante punktet bei den Renditen ab 5 % aufwärts.
Irgendwie Klischee: Der Europäer ist so mittel, während der Ami sich in den Extremen austobt. Aber am Ende kommen sie doch alle bei der Marktrendite raus.
Was sagt uns das wirklich?
Egal ob Dollar oder Euro: Das Ding schwankt. Für O. ändert sich nichts. Mal sind es plus 3 % in Dollar, dann wieder minus 3 % in Euro oder umgekehrt. Für unsere Zwecke sind die beiden Kurven identisch. Mehr als diesen dicken Daumen brauchen Sie nicht.
Natürlich gibt es da draußen Excel-Künstler, die das für Blasphemie halten. Aber wenn ich in 50 Jahren etwas gelernt habe, dann, dass Helmuth von Moltke recht hatte: "Kein Excel-Sheet hat jemals den Kontakt mit dem überlebt, was wir Leben nennen."
Planung ja, aber bitte kein überbestimmtes System konstruieren (es hat einen Grund, warum Brücken nie mit zwei Festlagern konstruiert werden).
Kommen wir nun zum letzten Satz in O.s Mail:
"Experten sagen, er macht immer Rendite."
Dreierlei ist dazu zu sagen:
- Der, der das gesagt hat, war kein Experte.
- Der, der das gesagt hat, war ein Experte, hat aber gelogen.
- Der, der das gesagt hat, war ein echter Experte. Das bedeutet: Er hat die Wahrheit gesprochen, sich aber so verklausematuckelt ausgedrückt, dass O. nicht verstanden hat, was der wahre Experte meinte.
Aber gegen verklausematuckelt hilft eine ordentliche Dosis Finanzwesir.
Ich habe Ihnen fünf Grafiken und eine Tabelle mitgebracht.
Ich habe untersucht, welche Haltedauern in der Vergangenheit welche Renditen brachten. Dazu habe ich rollierende Haltedauern von 1, 5, 10, 15, und 20 Jahren untersucht.
Was bedeutet rollierend?
Nehmen wir die fünfjährige Haltedauer: Mein erstes Intervall startet 1970 und endet 1975, dann rücke ich ein Jahr vor und betrachte den Zeitraum 1971 bis 1976. So rolle ich mich hoch bis zur letzten Fünfjahresperiode 2011 bis 2016.
Analog verfahre ich auch mit den anderen Haltedauern.
Kennzahlen | 1 Jahr | 5 Jahre | 10 Jahre | 15 Jahre | 20 Jahre |
---|---|---|---|---|---|
Quartil 0 = schlechteste Rendite | -41 % | -12 % | -6 % | 59 % | 158 % |
Quartil 1 = 25 % aller Werte liegen darunter | -0,1 % | 17 % | 83 % | 139 % | 290 % |
Quartil 2 = Median | 13 % | 63 % | 119 % | 306 % | 626 % |
Quartil 3 = 75 % aller Werte liegen darunter | 22 % | 94 % | 248 % | 588 % | 966 % |
Quartil 4 = beste Rendite | 42 % | 233 % | 458 % | 994 % | 1.547 % |
Summe Perioden | 47 | 42 | 37 | 32 | 27 |
Summe Perioden mit negativer Rendite | 12 | 7 | 2 | 0 | 0 |
Summe Perioden mit positiver Rendite | 35 | 35 | 35 | 32 | 27 |
Anteil Perioden mit negativer Rendite | 25,5 % | 16,7 % | 5,4 % | 0 % | 0 % |
Anteil Perioden mit positiver Rendite | 74,5 % | 83,3 % | 94,6 % | 100 % | 100 % |
Was wird aus 10.000 Euro?
Kennzahlen | 1 Jahr | 5 Jahre | 10 Jahre | 15 Jahre | 20 Jahre |
---|---|---|---|---|---|
Quartil 0 = schlechteste Rendite | 5.928 € | 8.834 € | 9.379 € | 15.862 € | 25.823 € |
Quartil 1 = 25 % aller Werte liegen darunter | 9.990 € | 11.686 € | 18.346 € | 23.883 € | 38.924 € |
Quartil 2 = Median | 11.348 € | 16.323 € | 21.864 € | 40.572 € | 72.579 € |
Quartil 3 = 75 % aller Werte liegen darunter | 12.220 € | 19.388 € | 34.774 € | 68.767 € | 106.583 € |
Quartil 4 = beste Rendite | 14.189 € | 33.308 € | 55.828 € | 109.430 € | 164.686 € |
So lesen Sie diese Tabelle: Wer in den letzten 47 Jahren (Dezember 1969 bis Januar 2017) seine Aktien 20 Jahre lang gehalten hat, hat aus 10.000 Euro
- mindestens 25.823 Euro gemacht, Haltezeitraum: 1988 bis 2008, Verkauf zu Tiefstkursen in der Subprime-Krise,
- maximal 164.686 Euro gemacht, Haltezeitraum: 1979 bis 1999, Verkauf zu Höchstkursen, kurz bevor die Dotcom-Blase platzte.
- Die Hälfte der Anleger hat ein Plus von mehr als 625 % erzielt (aus 10.000 Euro wurden 72.579 Euro), die andere Hälfte hat diese Marke nicht erreicht. Das ist der Median.
- 25 % aller Anleger verlassen die Börse nach 20 Jahren mit einer Summe zwischen 106.583 Euro und 164.686 Euro.
1988 bis 2008: Die schlechteste 20-Jahresperiode zwischen 1969 und 2017. Trotzdem im Plus.
Wie passt das jetzt zu O.s
"Experten sagen, er macht immer Rendite."
Nein, der MSCI World macht nicht immer Rendite. Die Chancen steigen aber mit der Haltedauer. Während man bei einer einjährigen Haltedauer mit Schwankungen von plus 42 % und minus 41 % rechnen muss, hat man ab einer zehnjährigen Haltedauer eine über 90%ige Chance, im Plus zu sein. Ab einer Haltedauer von 15 Jahren war man in den letzten 47 Jahren immer im Plus.
Ich vermute, das hat der Experte gesagt: "Im statistischen Mittel steigt die Chance, dass der Index mit steigender Haltedauer im Plus landet." Zu verklausematuckelt! Laien verkürzen das gerne zu: "Der ist immer im Plus." Nö, ist er nicht.
Rendite ist nicht gleich Rendite. Wer nach 20 Jahren für 10.000 Euro knapp 26.000 Euro erhält, ist zwar rein formal im Plus. Aber was bleibt noch an Kaufkraft, wenn man Steuern, Gebühren und die Inflation abzieht? Die Renditespreizung ist enorm.
Haltedauer | 10 Jahre | 15 Jahre | 20 Jahre |
---|---|---|---|
Spreizung | 6 | 6,9 | 6,4 |
Wer seine Aktien von 1979 bis 1999 hielt, bekam das 6,4 fache von dem, was der Anleger erzielte, der zwischen 1988 und 2008 an der Börse aktiv war.
Nicht vergessen: Wir betrachten hier Zahlen aus der Vergangenheit. Diese Zahlen haben keinen Einfluss auf die Zukunft. Das einzige, was wir tun können, ist daraus die berechtigte Hoffnung abzuleiten, dass es auch in der Zukunft so bleibt.
Die Grundannahme, auf der alles basiert, ist ein grundsätzlicher Optimismus und das Vertrauen darauf, dass noch nicht alle Erfindungen gemacht sind und vor allem: Dass eine Zivilisation, so wie wir sie kennen, auch in Zukunft existiert.
Das ist eine Lebenseinstellung und hat nichts mehr mit Börse und aktiv versus passiv zu tun. Wer nicht bereit ist, heute noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen, sollte nicht an die Börse gehen, sondern in armageddonfeste Sachwerte investieren.
Sicherheitshinweis: Ein Tagesgeldkonto ist nicht armageddonfest.
Der Hauptschuldige
Ich klage an: Das Tagesgeldkonto.
Warum?
Weil das Tagesgeldkonto des Deutschen liebste Referenz ist. Alle Prozente, die vorbei kommen, werden mit dem Tagesgeldzinssatz verglichen. Es ist dabei vollkommen egal, ob es Zinsen, Dividenden, Kurssteigerungen oder Payback-Punkte sind.
Das ist der elende Ankereffekt. Jeder Zinssatz, der mehr als 0,x % verspricht, ist gut, und jede Schwankung größer Null ist extrem.
Jede Anlageklasse hat ihr eigenes Risiko-Rendite-Profil und muss innerhalb ihres eigenen Koordinatensystems bewertet werden. Wenn Sie das nicht tun, sind Sie wie diese Gestalten, die auf Amazon ein Produkt mit einem Stern bewerten. Begründung: Der Postbote war unfreundlich.
O.s Hauptaufgabe
Jetzt nur nicht Opfer werden. Zweifler wie O. erliegen gerne den Sirenengesängen der Finanzhyänen: "Rendite ohne Reue. Kaufen Sie dieses Garantieprodukt. Für nur 0,9 % Gebühren werden Sie low-volatlilty …"
Das Problem: Nach zehn Jahren stellt man fest: Das mit dem "ohne" hat schon gestimmt. Allerdings gehört "ohne" nicht zur Reue, sondern ist der Begleiter des ersten R-Wortes.
Wenn erfahrene Börsianer über Kurse reden, dann ist das Volatilität, und die geht in beide Richtungen. Bei Börsenanfängern ist das anders: Da schwanken die Kurse nur nach unten. Wenn sie nach oben gehen, steigen sie.
- schwanken = negativ, unseriös, zu vermeiden (Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten …),
- steigen = konstant, beständig in die Zukunft fortzuschreiben, anzustreben.
Was kann O. tun?
Nicht viel, außer zu akzeptieren, dass Mr. Market so ist, wie er ist. Man kann die Börse nicht in Ketten legen und gleichzeitig tolle Renditen erwarten.
Da ich nur diese kurze Mail von O. habe, muss ich spekulieren.
Vielleicht sind 2.000 Euro bis 2.500 Euro einfach zu viel. Aufs Jahr hochgerechnet sind das zwischen 12.000 Euro und 15.000 Euro. Vielleicht sollte O. nicht direkt vom kuscheligen Tagesgeldkonto ins raue Börsenwasser springen, sondern sich eine Akklimatisierungsphase gönnen.
Wenn die Börse zum Jahresende 2017 keine Rallye hinlegt, sondern einbricht und wie 1990 mit einem Jahresminus von 17 % schließt, dann ist eine Rate erst einmal weg. 12.000 Euro eingezahlt, aber der Kontoauszug zeigt nur noch 10.000 Euro an. Dann kriegt er richtig Schnappatmung! Also erst einmal die Einzahlungen reduzieren. Irgendwann ist aber Schluss mit Akklimatisierung, dann muss der Geldhahn wieder aufgedreht werden.
Vielleicht zieht sich O. aber auch dauernd Finanzpornografie rein und die macht ihn ganz wuschig. Dann wäre eine Mediendiät die Lösung.
Fazit
Eigentlich hat Leser O. den optimalen Einstieg erwischt. Ein kleiner Verlust am Anfang dämpft die Hybris (ich bin hier der Checker auf dem Börsenparkett) und lehrt Demut. 68 Euro sind ein Betrag, der O. wehtut, ihn aber nicht umbringt. Mit anderen Worten: Die perfekte Immunisierung. Jetzt heißt es das Unwohlsein überwinden und weitermachen.
Intelligenz ist sowieso überbewertet – Sturheit bringt den Pokal nach Hause.