Am Anfang meiner Finanzkarriere war ich davon überzeugt: An den Finanzmärkten muss man ganz genau wissen, was man tut, und es ist wichtig, die richtigen Produkte zu kennen. Nur so kann ich erfolgreich sein.
Ich habe Experten angeheuert, da ich mir das selbst nicht zugetraut habe.
Nach einiger Zeit habe ich festgestellt: "Mein Depot leidet an Schwindsucht. So dolle ist das mit den Experten nicht."
So trat das Konzept "passives Investieren in Eigenregie" in mein Leben. Meine Überzeugung: Passiv funktioniert. Aber nur, wenn man sich ganz genau überlegt, wie man seine Anlageklassen kombiniert. Ein Vermögen braucht ein solides Fundament. Deshalb muss ich mir ganz genau überlegen:
- Wie soll das Verhältnis von Industrie- zu Schwellenländern sein?
- Wie hoch muss der Anteil von Nebenwerten (Small Caps) sein?
- Was ist mit Value-Aktien?
- Soll ich nach Marktkapitalisierung oder nach Bruttoinlandsprodukt gewichten?
Ich war der Überzeugung: Ohne ein sorgfältig konstruiertes Regelwerk werde ich Schiffbruch erleiden. Deshalb habe ich sehr viel Zeit und Excel in diese Bachelor-Arbeit investiert. Die von mir in dieser Abhandlung festgelegten Prozentwerte sind schließlich die Basis für meinen Anlageerfolg.
Fast forward ein paar Jahre.
Nachdem ich die korrekte Assetallokation herausdestilliert hatte, habe ich mich ‒ rein interessehalber ‒ weiter in den einschlägigen Foren herumgetrieben und Blogs und Bücher zum Thema gelesen.
In den Foren, Blogs und Büchern wurden ebenfalls Buy-and-hold-Assetallokationen propagiert. Jede dieser Assetallokationen wurde ‒ mit durchaus vernünftigen Begründungen ‒ als die Assetallokation vorgestellt.
Kein Problem, ich weiß es besser. Sind halt alles Idioten die anderen.
Doch irgendwann, so nach der zehnten Variante, wird man mürbe und ein Verdacht keimt auf:
Was, wenn es wurschtpiepegal ist, ob man 90 % Industrieländer + 10 % Schwellenländer kombiniert oder 41 % USA plus 24 % Europa, 11 % Japan, 24 % Schwellenländer? Oder noch Small Caps, Value-Aktien und Rohstoffe und Immobilien dazu mixt?
Was, wenn es nur darauf ankommt
1. Hinreichend breit diversifiziert zu sein
2. Hinreichend lange investiert zu sein
Ein entsetzlicher Verdacht! Würde er sich erhärten, wären 99 % des ganzen Smoke-and-Mirrors-Spiels der Finanzbranche vom Tisch.
Mein Kronzeuge
Darf ich Ihnen Meb Faber vorstellen. Herr Faber ist Mitgründer und Chief Investment Officer von Cambria Investment Management. Er hat das Buch Global Asset Allocation: A Survey of the World’s Top Asset Allocation Strategies verfasst.
Meb Faber vergleicht 13 renommierte Buy-and-hold-Ansätze miteinander. Seine Analyse umfasst die 40 Jahre zwischen 1973 und 2013.
Mit „renommierte Ansätze“ meine ich Portfolios wie das
- "Risk Parity"- und das "All Seasons"-Depot, hinter denen Ray Dalio, der Gründer von Bridgewater Associates, einem der größten Hedgefonds, steht.
- "Permanent Portfolio" von Harry Browne, Präsidentschaftskandidat und Finanzberater
- "Warren Buffet Portfolio", Herr Buffet riet seiner Frau, nach seinem Ableben 10 % des Vermögens in kurz laufende Staatsanleihen und 90 % in einen weltweit investierenden Index-Fonds zu stecken.
- Portfolio von Rob Arnott, dem Smart-Beta-Advokaten.
- Portfolio der Schweizer Fonds-Legende Marc Faber.
- Portfolio, das David Swensen für die Yale Universität managt.
Also schon eher Sachen, die den Horizont der örtlichen Sparkasse übersteigen.
Herr Faber hat munter hin und her gerechnet und kommt zu dem Schluss:
Your Buy and Hold Allocation Doesn’t Matter
"If you exclude the permanent portfolio (high cash), they are all within 1 percentage point of each other!"
Die Grafik
Nach vierzig Jahren hat sich alles ausgemittelt.
Warum ist das so?
- Es gibt Jahre, in denen rocken die brasilianischen Aktien.
- Dann sind die Biotech-Aktien die Überflieger.
- Es gibt Perioden, in denen Nebenwerte besonders gut laufen.
- Dann gibt es Jahre, in denen der Aktienmarkt als Ganzes am Boden liegt und die Anleihen für die Rendite sorgen.
- Zwischendurch kommen und gehen die Rohstoff-Jahre. Mal glänzt das Gold ganz besonders, dann wieder Öl, und Soja-Jahre gibt es auch.
Jede Region, jede Branche, jede Assetklasse ist mal top und mal flop.
Das ist ein bisschen so wie in der Grundschule beim Malen mit Wasserfarben. Am Anfang ist die Farbe im grünen Töpfchen grün, im blauen blau und im roten rot. Am Ende der Stunde ist alles ein trauriges graubraunschlammgrün. Das nennt man die Marktrendite.
Wenn man die Renditen aller Assetklassen nur lange genug zusammenrührt, kriegt man graubraunschlammgrün.
Ein anleihenlastiges Depot mag 15 Jahre in Führung liegen, irgendwann rafft sich der Aktienmarkt auf und stürmt los. Dann schmilzt die Führung in den nächsten zehn Jahren dahin. Bevor aber die Aktien mit ihrer Rendite am Horizont verschwinden, schmeißt die Anleihe ihre Bola und bringt die Aktien fürs Erste zu Fall.
So geht das ‒ wie in Game of Thrones ‒ Jahr um Jahr. Alles sehr unübersichtlich. Keine Anlageklasse behauptet ihre Führung auf Dauer. Bereits tot geglaubte Anlageklassen erleben ein Revival und entreißen den Publikumslieblingen den Renditepokal.
Aber alle huldigen nur einer Macht: der Regression zum Mittelwert. Die Regression zum Mittelwert stutzt den Arroganten die Flügel und hilft den Gefallen auf. Denn die Lieblingsfarbe der Regression zum Mittelwert ist graubraunschlammgrün.
Die Regression zum Mittelwert ist für die Finanzmärkte das, was für uns Menschen die Schwerkraft ist: die Kraft, der keiner entkommt.
Fazit
Buy-and-hold ist wie Kuchenbacken. Gewisse Grundzutaten müssen rein, der Rest ist ad libitum, und Geduld muss man haben.
Mangels Fähigkeit backe ich seit 30 Jahren den gleichen Geburtstagskuchen. Ich brauche dazu Butter, Zucker, Mehl, Eier und Backpulver. Ohne geht‘s nicht. Im Rezept steht: 250 Gramm Mehl plus 50 Gramm Mondamin. Wenn ich kein Mondamin habe, nehme ich 300 Gramm Mehl und bin auch fertig.
Was das Backpulver angeht: 2 Teelöffel soll‘n es sein. Ok, sind drin. Aber jetzt ist noch ein halber Löffel im Tütchen übrig. Macht nix, kommt auch mit rein.
Was die Zutaten angeht: Gemahlene Haselnüsse sind gewünscht. Wenn ich den Kuchen für einen Nussallergiker backe, nehme ich gemahlene Mandeln.
Sukkade, Rosinen und Schokolade gehören ebenfalls in den Kuchen. Außer, es ist ein Kindergeburtstag, dann ohne Rosinen und Sukkade, denn die sind eklig. Lieber mehr Schokolade oder ordentlich Streusel drüberkippen.
Sie sehen, ich habe eine Menge Freiheiten. Was ich nicht tun darf, ist
- dauernd nachsehen, ob der Kuchen denn nun endlich fertig ist,
- die Backzeit von 50 Minuten bei 170 Grad auf 25 Minuten bei 340 Grad abkürzen.
Egal wie die Mischung ist: Die Backzeit ändert sich nicht.
Will sagen: Solange Sie marktbreite Indizes (Mehl und Butter) als Fundament haben, können Sie gerne Small Caps (Rosinen) oder Value-Aktien (Schokolade) hinzutun.
Sie können Ihren Kuchen auch mit allem pimpen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Unsere Mädchen haben das mal gemacht und fanden es sehr lecker. Meine Frau und ich mussten unsere Mägen erst einmal mit einem Likörchen rebalancen. Wenn auch Sie nach dem Rebalancen Ihres ETF-Depots erst mal einen Schnaps brauchen, sollten Sie über das Thema "operative Komplexität" nachdenken.
Wenn es Ihren Wunsch-ETF nicht in der Haselnussvariante gibt, dann nehmen Sie die Mandelvariante, und wenn es gerade operativ gut passt wegen Sparplan, dann nehmen Sie eben statt Mehl und Mondamin etwas mehr vom Mehl-ETF.
Ihr ETF-Kuchen wird in jedem Fall gelingen!
Denn es kommt nur darauf an
- Hinreichend breit diversifiziert zu sein
- Hinreichend lange investiert zu sein
Hauptsache, Sie fangen damit nicht erst mit 50 an, denn 340 Grad ‒ das hält kein Sparplan aus!
Ist das jetzt gut oder schlecht?
Ich weiß nicht recht. Dieses Ergebnis zeigt einmal mehr: Passives Investieren ist eigentlich kein Geldanlage-Thema, sondern eine Haltung zur Welt.
Haltung, so wie man es aus den Kung-Fu-Filmen kennt. Der junge Mu Ki kommt ins Shaolin-Kloster, fühlt sich als Alpha Bärus und will den "stürzenden Kranich", den "tretenden Drachen" und all die anderen coolen Moves lernen, um seine Feinde ordentlich zu vermöbeln.
Doch leider hat er die Rechnung ohne den weisen Meister gemacht. Der weiß: "Ohne die richtige Haltung sind all die coolen Moves nur leeres Gefuchtel." Also triezt der Alte den armen Mu Ki unerbittlich, bis dieser versteht: "Es kommt auf die richtige Haltung an."
Ab dann verbessert sich auch Mu Kis Verhältnis zur jungen attraktiven Li Be.
Was heißt das für uns als Passivanleger?
Die Haltung des Passivanlegers besteht aus
- Demut
- Stoizismus
- Arroganz
Demut
Ich weiß, dass ich nichts weiß. Markttiming und Stockpicking lohnen nicht.
Stoizismus
Wie der Rheinländer sagt: "Et is, wie et is." und "Et kütt wie et kütt."
Dinge, die man ändern kann, werden geändert, alles andere akzeptiert man. Durchhalten, nicht jammern, weitermachen. Die Zeiten ändern sich auch wieder.
Arroganz
In meiner Jugend hätte "stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein" genügt. Aber wir lebten in einer Zeit, in der das Bewegtbild schwarz-weiß war und um Mitternacht abgeschaltet wurde.
Man braucht viel Kraft und Arroganz, um 30 oder 40 Jahre gegen den Medien-Tornando anzukämpfen.
Das ist die Achillesferse des passiven Investierens.
Es ist sofort klar, warum es toll ist, zu den Gewinnern zu gehören: "Unsere Momentum-Strategie mit dem Schmörks-Faktor hat in den letzten fünf Jahren den Markt um 25,57 % outperformt". Topp, da will ich dabei sein.
Passives Investieren kann da nicht mithalten. Keine 25,57 % Outperformance, sondern nur graubraunschlammgrün.
Was daran cool sein soll, erschließt sich erst, wenn es zu spät ist. 30 Jahre konstantes Graubraunschlammgrün schlagen
- 5 Jahre Schmörks-Outperformance, die leider nach dem Crash nie wieder zur alten Form zurückfand.
- Gefolgt von der 7jährigen Regentschaft des Volatility-Momentum-Gurus Gordon "Crazy Bull" Miller. Der soff sich leider zu Tode und sein Nachfolger taugte nichts.
- Also ‒ vorsichtig geworden ‒ und umgeschichtet zu Cash-im-Crash-Papst Prof. Dr. Bibo Binder. Doch leider kam der Crash nicht (ganz erstaunlich, denn eigentlich sind Wirtschaftswissenschaftler unfehlbar) und für das eine Prozent Rendite hat der Cash-Papst zwei Prozent Gebühren genommen.
Jetzt ist das Kind nicht bloß in den Brunnen gefallen, sondern in einem kilometertiefen Schacht auf der Reise zum Mittelpunkt der Erde. Als 50-Jähriger sehen Sie da nie mehr das Licht der Sonne. Zinseszins braucht Zeit.
Ich sage deshalb: Was ist die Auswahl eines ETFs gegen das Nichtschauen eines ARD-Börsenbrennpunkts.
Wenn Sie das mit dem ETF vergurken, verlieren Sie zwischen 0,2 % und 1 % an Rendite. Ärgerlich, aber nicht ruinös.
Wenn Sie sich von der GEZ-gesponserten Gestalt im Fernsehen, die noch nie in ihrem Leben eine Aktie besessen hat, verrückt machen lassen und verkaufen, kann das das Ticket für eine Flaschensammler-Karriere im Alter sein.
Was ist eigentlich aus dem alten Kung-Fu-Meister geworden?
Der kann natürlich all die Tritte und Schläge. Aber er braucht sie nur noch sehr selten, denn er ist weise geworden. Das meiste, was er gelernt hat, hat er wieder vergessen, denn
vor der Weisheit kommt das Vergessen.
Kung-Fu ist ein Teil von ihm. All das, was er einmal gelernt hat, ist zu Humus verwittert und in die entsprechenden Gehirnareale sedimentiert. Wenn der Meister Kung-Fu braucht, ist es da, ohne dass er genau erklären kann, wie er den Gegner auf den Hosenboden gesetzt hat. Das ist ihm auch nicht wichtig. Wichtig ist ihm sein Mittagsschläfchen und die Tasse Jasmintee mit den anderen Mönchen.
Was hat das jetzt mit mir als ETF-Anleger zu tun?
Sie werden sich ‒ wie der junge Mu Ki ‒ fluchend durch die ETF-Kolonnen bei JustETF wühlen, immer auf der Suche nach dem besten, dem optimalen ETF (die ganz Verwegenen jagen sogar den optimalsten ETF).
Sie werden ‒ wie die meisten von uns ‒ einige Zeit auf der Suche nach dem Heiligen Gral verbringen.
Irgendwann wird ihnen aufgehen, dass sie einem Trugbild hinterherjagen.
Dann mault man noch ein bisschen rum, und irgendwann ist es einem egal, was genau man im Depot hat und was das aktuell wert ist. Und auch die Kostenquoten kann man nicht mehr auswendig herbeten.
Das ist das Vergessen, was ich meine. Das einzige, was man noch weiß, ist: Ich habe Inhalt und Zusammensetzung beim letzten Rebalancing für gut befunden. Mehr muss nicht sein. Darauf einen Jasmintee.
Sie können natürlich auch abkürzen, sich etwas anlesen und dann hurtig, hurtig das Deport einrichten, nur damit die Sache vom Tisch ist.
Ich bezweifle aber, dass Sie dann die mentale Stärke haben, eine richtige Krise zu überstehen.
Sie sollten sich lieber einen Finanzberater suchen. Es könnte aber sein, dass Sie sehr unzufrieden mit Ihrem Berater wären. Der optimale Berater ist ein Berater, mit dem Sie permanent unzufrieden sind, weil er
- Sie daran hindert Haus und Hof zu verwetten und Aktien auf Kredit zu kaufen, wenn die Märkte brummen. => Der Kerl hindert mich daran, voll vom Boom zu profitieren.
- Sie stoppt, wenn Sie alles verkaufen wollen, weil die Börse einbricht. => Ich will retten, was noch zu retten ist, und der Kerl behindert mich schon wieder.
Wer bezahlt schon dafür, dauernd behindert zu werden?
Fazit
Das Einzige, was Ihren Gewinn verlässlich ruiniert, sind zu hohe Gebühren. Achten Sie also auf die Gebühren und schrauben Sie dann noch ein bisschen an der Assetallokation herum. Hören Sie auf, wenn Sie
- keinen Bock mehr haben (der Kuchen muss fertig werden, in zwei Stunden kommen die Gäste),
- meinen, die optimale Kombi gefunden zu haben (Rosinen zwei Tage in Cognac eingelegt und die Schokolade ist bio).
Sie werden in beiden Fällen nicht vom Ergebnis enttäuscht sein. Das Schönste am Geburtstagskuchen ist doch, dass man ihn zusammen mit Familie und Freunden isst.