
Immer, wenn die Börse schwächelt, erhalte ich Leser-Mails mit der Frage: "Kann ich mein Depot mit einem Short-ETF absichern?"
Für manche Leser scheint ein Short-ETF eine so eine Art silberne Knoblauchknolle zu sein. Hilft gegen Werwölfe, Vampire und sinkende Kurse.
Definition Shorten
Shorten oder short gehen bedeutet, Wertpapiere zu verkaufen, die man nicht besitzt. Auf Deutsch: Leerverkauf. So geht’s (Steuer und Gebühren außen vor):
- Ein Leerverkäufer leiht sich 100 Aktien der Finanzwesir AG (beispielsweise von einem ETF) mit einer Entleihfrist von 30 Tagen und verkauft diese sofort an der Börse zum aktuellen Kurs von 50 € je Aktie. Einnahmen: 5.000 €
- Nach 30 Tagen muss der Short-Seller 100 Aktien der Finanzwesir AG zurückgeben. Nehmen wir an, er hat am letztmöglichen Tag gekauft. Dann sieht seine Bilanz wie folgt aus:
- Der Kurs (grün) ist gefallen, die Aktie kostet nur noch 42 Euro. Der Leerverkäufer kauft für 4.200 € 100 Finanzwesir-Aktien und gibt diese zurück. Sein Gewinn: 800 Euro.
- Der Kurs (violett) ist gestiegen, die Aktie kostet 52 Euro. Der Leerverkäufer kauft für 5.200 Euro Finanzwesir-Aktien und gibt diese zurück. Sein Verlust: 200 €.
Wenn der Leerverkäufer seine marktseherischen Kräfte aktiviert, sieht er:
- Grüner Kurs: Spätestens am vorletzten Tag muss er kaufen, da steht der Kurs bei 41 € und der Gewinn wird maximal.
- Violetter Kurs: Shortie erkennt am Tag 25: Das wird nichts mit dem grünen Kurs und deckt sich am Folgetag zum Tiefstkurs dieses 30-Tage-Abschnitts ein. Dann sieht er gelassen zu, wie der Kurs auf 52 Euro klettert und steckt seinen Gewinn von 900 Euro ein.
Wichtig zu wissen
- Die Entleihfrist kann wenige Tage oder mehrere Monate betragen. Das hängt davon ab, was der Shortie plant.
- Shortselling ist ein asymetrisches Geschäft. Der Kurs kann bestenfalls auf Null fallen, potentiell aber unendlich hoch steigen.
- Der Leerverkäufer muss mit seinem Kauf nicht bis zum letzten Tag warten. Ihm geht es nur darum, den Tag zu erwischen, an dem er unter Einstandskurs kaufen kann.
- In der Praxis ist das nicht ganz so einfach. Da gibt es Steuern und Gebühren und der Shortseller muss Sicherheiten stellen.
Wie schlägt sich der Short-ETF?
Ein Short-ETF ist immer ein synthetisches Derivate-Dingsbums. Trägerportfolio plus Swap. Das ist die einzige Art einen Short-ETF zu bauen.
Ein ETF besteht aus den drei Buchstaben E, T und F.
Ähm ja, wissen wir Finanzwesir.
Ja, aber die meisten sagen einfach Eteef, so wie man Beaesef oder Vauwe sagt. Eigennamen halt. Leider geht dabei die Bedeutung des E und des T verloren. Exchange Traded, börsennotiert.
Mit anderen Worten: Sie können täglich rein und raus aus dem ETF. Das macht den Short-ETF zu einem Daytrading-Instrument. Wie das?
Das Produktversprechen aller Short-ETFs, hier exemplarisch für einen Short-DAX:
"Die auf täglicher Basis bestimmte Wertentwicklung des ShortDAX entspricht ungefähr der inversen (umgekehrten) Entwicklung des DAX. Eine positive (negative) Veränderung des DAX führt zu einer negativen (positiven) Veränderung ungefähr gleichen prozentualen Ausmaßes auf Tagesbasis im ShortDAX TR Index."
Quelle: Factsheet: ComStage ShortDAX
Tag | Wertentwicklung | Index | Short-Index |
---|---|---|---|
Starttag | 100 | 100 | |
1 | -10% | 90 | 110 |
2 | 11,11% | 100 | 98 |
3 | -10% | 90 | 107 |
4 | 11,11% | 100 | 96 |
100 Tage Schaukelbörse. Index: Keine Gewinne, keine Verluste. Short-Index: Über 60% Verlust.
Kritik: Das ist total praxisfern!
Stimmt; ich habe da mal was vorbereitet. In allen Szenarien betrachte ich einen Roundtrip: Der Index halbiert sich von 100 auf 50 und steigt dann wieder auf 100. Die klassische Paternoster-Nummer.
"Die Börse ist wie ein Paternoster. Es ist ungefährlich, durch den Keller zu fahren. Man muss nur die Nerven behalten."
Wie entwickelt sich das Vermögen?
Ich setze eine Long/Short-Strategie um. Jeden ETF-Anteil sichere ich mit einem Short-ETF ab. Kann der Short-Index die Verluste kompensieren?
Gelernt
- Der Index halbiert sich, der Short-Index schafft aber keine Verdopplung.
- Das macht aber nichts, denn die Kurssteigerung des Short-Index kompensiert die Verluste des normalen Index. Zumindest in einem gewissen Zeitraum (grüne Linie "Vermögen" in den Grafiken). Markttimer an die Front!
- Das Revier des Short-Index ist der brutale Bärenmarkt. Ein qualvolles Gebröckel über lange Zeit bringt die beste Rendite (erste Zeile der Tabelle). Ein Job für Stahlnervige, die auch dann noch shorten, wenn alle die Kurswende herbeibeten.
- Der Short-Index hasst Optimismus. Je kräftiger der Kursanstieg, umso mieser performt der Kurze. Wunder der Prozentrechung:
- Trendwende bei 50 €. Die Anleger greifen wieder zu. Anteile zu 50 sind aus, aber für 52 €gibt es noch welche. Trotzdem Schnäppchen. Ob ich jetzt 50 oder 52 € für etwas zahle, was vor einem Jahr noch 100 € gekostet hat macht keinen Unterschied. Der Index steigt um 2 € (lächerlich), das sind 4% (schon nicht mehr lächerlich).
- Der Short-Index steht bei 198 € und fällt um 4%, das sind knapp 8 € (dramatisch). Die nächsten 2 Euro, die der Index gewinnt, kosten den Kurzen gut 7,50 € und so geht es geiersturzflugmäßig wieder auf die Nulllinie zu.
- Jeder Roundtrip endet im Minus. Wenn der ETF nicht streng monoton fällt, sondern der Kurs sich ab und an mal zu einer Echternacher Springprozession aufrafft (letzte beiden Zeilen der Tabelle), ist es am Schlimmsten. Selbst bei einer langsamen Kurserholung ist ein Fünftel des Geldes weg. Im schlimmsten Fall vernichtet der Short-ETF mehr als ein Viertel des Vermögens.
- Sanftes Ab und Auf minimiert die Roundtrip-Verluste (Faultier-Modus). Aber lange Dünungswellen sind harmlos, die muss man nicht shorten.
Fazit
Treten wir einen Schritt zurück:
- Warum sind wird Indexer geworden? Weil wir im Sokrates-Business sind.
- Warum machen wir Buy&Hold? Weil wir ein volles Leben haben.
- Warum wollen wir einen Short-ETF? Weil wir Angst um unsere Altersversorgung haben.
Das Problem: Der Kauf eines Short-ETFs ist nichts weiter als eine Form des Daytrading. Was Sie hier betreiben ist eine Fristentransformation. Die langfristige Anlageform Altersvorsorge soll durch operative Hektik abgesichert werden. Das klappt nicht.
Fristentransformationen waren noch nie eine gute Idee.
Prominentes Beispiel sind die offenen Immobilienfonds. Hausinvest und Konsorten haben kurzfristiges Geld (Anleger können sich täglich auszahlen lassen) in Immo-Projekte gesteckt. Als 2009 die Krise kam, ging den Fonds das Geld aus und sie mussten ihre Immos im Schlussverkauf verramschen.
Oder wie es bei Cap Trader geschrieben steht:
"Handeln entgegen dem langfristigen Trend
Da der langfristige Trend der Märkte aufwärtsgerichtet ist, sollten Leerverkäufe opportunistisch und zeitlich gut geplant sein, anders als typische "Buy-and-Hold" Strategien."
Comstage meint:
"Short-ETFs eignen sich - durch die tägliche Betrachtungsweise - besonders für kurzfristige Marktengagements: von der Spekulation bis zur Absicherung."
Short-ETFs sind die Globuli im ETF-Universum. Nutzlos aber mit tollen Versprechungen. Jedenfalls nichts für die Altersvorsorge. Die Börse bezahlt nach wie vor nur für den Kontrollverlust. Das ändert auch die Bauernfängerei der ETF-Industrie nicht.
Wer die Hitze in der Küche nicht erträgt, muss raus und seinen Aktienanteil reduzieren. Markttaktisches Herumgepansche bringt nur Kontrollillusion und keine Rendite.
Menno, ich will aber einen Short-ETF!
Dann brauchen Sie einen Plan
- Welcher Index?
- Ab wann steigen sie ein?
- Wenn das Bollinger-Band zur typischen Kopf-Schulter-Formation zerknittert?
- Wenn die Fed eine Zinswarnung ausgibt und die Shiller-Ratio total ungechillt ist?
Akzeptier’ ich alles, denn da steckt ein kluger Kopf mit einem Excel-Plan dahinter. Was ich nicht akzeptiere ist Ihr Bauchgefühl. Denn ganz unter uns: "Ihr Bauchgefühl ist echt scheiße!" (Ist seit Deadpool salonfähig)
Und wann gedenken Sie wieder auszusteigen? Wir (also eher Sie, mir ist das egal) wollen diese Nummer doch nicht mit einem zweistelligen Roundtrip-Verlust beenden?
Werden Sie Kurse & Nachrichten auch bei Netflix & Chill beobachten? Die Börse nimmt wenig Rücksicht auf Ihr Privatleben. Wenn sie zicken will, zickt sie rum. Könnte natürlich sein, dass noch jemand rumzickt, wenn ein Auge immer fest aufs Handy gerichtet ist.
PS: Noch besser als ein Short-ETF ist ein gehebelter Short-ETF. Der ist was für die Werwölfe der Wallstreet. Wie wäre es mit diesem Qualitätsprodukt aus dem Hause Deutsche Bank?
Masterfazit
Gegen Vampire, Werwölfe und sinkende Kurse helfen Short-ETFs nicht.