Leser J. hat über den Zinseszins nachgedacht und schreibt
Es gibt da eine Frage, die mir ständig im Kopf umherschwirrt: "Woher kommt den eigentlich dieser Zinseszins?"
Kann man bei einer Geldanlage in ein Asset wirklich von Zinseszins sprechen?
Wenn ich ein Wertpapier (Aktien, Fonds, ETFs, oder schlicht ein Auto) kaufe, habe ich einen Einkaufswert und vielleicht irgendwann einen Verkaufswert der - hoffentlich - höher liegt.
Nehmen wir einmal eine Anlage 1 Stück zu 100 € aus der nach 10 Jahren 1 Stück zu 200 € geworden sind, eine Wertsteigerung um 100%.
Der Volksmund spricht ja nun gerne von "salopp" 10% p.a. (Effektivzinssatz ~7% p.a.).
Ich weiß, dass man "pro anno" gerne rückwirkend nutzt, um einen Vergleich zwischen diversen Investments herzustellen. Aber einen Zinseszins kann ich hier nicht erkennen. Es ist lediglich der Anteilspreis gestiegen.
Beim Tages-/Festgeld leihe ich Geld und bekomme zum Zeitpunkt X einen Prozentsatz Y, diesen verleihe ich sofort wieder, das Spiel wird also mit
"mehr" Geld wiederholt.
Das verstehe ich bisher unter Zinseszins.
Bei Aktien, ETFs, Fonds, Schweinehälften und Sojabohnen ist das anders: Mein real verfügbares Geld wird immer nur dann "mehr" wenn ich Buchgewinne realisiere und zu gleichen oder ähnlichen Kondition erneut anlegen kann. Um etwas erneut anzulegen, muss ich es aber irgendwie "realisieren". Bei Fonds, ETFs passiert das automatisch mit dem hübschen Begriff "thesaurierend", wobei die Ausschüttung ja schlicht der Dividende entspricht, die dem Anteilswert entnommen wird Fast eine Art Zwangsverkauf.
Mir ist zwar bewusst, das Unternehmen den Gewinn reinvestieren können (Schweinehälften können das natürlich nicht), aber Wachstum und Gewinn eines Unternehmens haben nicht direkt etwas mit dem Kurs der Aktie zu tun. Es ist ja durchaus möglich den Re-Invest durch dumme Projekte in den Sand zu setzen.
Der Finanzwesir antwortet
Wir sollten erst einmal die einzelnen Anlageklassen auseinander dröseln. Was haben wir?
- Auto
- Schweinehälften und Sojabohnen
- Tages-/Festgeld
- Aktien, Fonds, ETFs
Auto
Das Auto gehört in die gleiche Kategorie wie die Bulthaup-Küche und das Rolf-Benz-Sofa: Sauteuer, aber kein Vermögensgegenstand, sondern eine Verbindlichkeit. Alle drei werden mit der Zeit wertlos.
Konsumgüter kosten Geld, sie werfen keine Zinsen ab. In einer Frage zum Thema Zinseszins haben Verbrauchsgüter nichts verloren.
Merke: Nur weil etwas teuer ist, ist es noch lange kein Vermögenswert.
Rohstoffe
Halbe Schweine, Soja, Gold und Öl sind Rohstoffe. Rohstoffe werfen ebenfalls keine Zinsen ab. Wer sein Geld in Rohstoffen anlegt, spekuliert darauf, dass die Preise so stark steigen, dass er nicht nur die Lager- und Lieferkosten wieder herausbekommt, sondern noch einen Gewinn macht.
Gold ist einfach zu lagern, dass müssen Sie nur bewachen. Aber versuchen Sie mal einen Silo Weizen mäusefrei zu halten. Die Lagerkosten können erheblich sein. Männer wie Kostolany und Buffett halten deshalb nicht viel von einer Geldanlage in Rohstoffen.
Tages-/Festgeld
Wie Leser J. schon festgestellt hat: Hier gibt es Zinsen. Aber: Nur weil es Zinsen gibt, muss es noch lange keinen Zinseszins-Effekt geben. Den Zinseszins gibt’s nur, wenn diese zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Die Anlageklasse wirft Geld ab.
- Dieses Geld wird von einem disziplinierten Anleger sofort wieder angelegt.
Zinsen kassieren und flugs verfrühstücken, das bringt keinen Zinseszins. Genau das hat J. auch erkannt.
Aktien, Fonds, ETFs
Ich gehe davon aus, dass die Fonds und ETFs, die Leser J. meint, in Aktien investieren. Bei Aktien haben wir zwei Komponenten: Kursgewinn plus Dividende.
Kurze Rekapitulation: Wie war der Zinseszins noch mal definiert?
"Es handelt sich dabei um Zinsen, die sich stetig erhöhen, da auch die in der Vergangenheit erzielten Zinsen immer weiter verzinst werden."
Benjamin Graham, der Pate des Value Investing hat einmal gesagt:
In the short run, the market is like a voting machine, but in the long run, the market is like a weighing machine"
Das bedeutet: Langfristig reflektieren die Kurse die Substanz einer Firma. Nun kann man trefflich darüber streiten, ob sich darin ein Zinseszins-Effekt versteckt.
Eine Firma, die letztes Jahr gut gewirtschaftet hat und eine starke Marktposition hat, profitiert dieses Jahr davon und tut sich bei der Ausweitung ihres Geschäfts leichter, als ein Konkurrent, der nicht so gut da steht.
Die erfolgreiche Firma hat mehr Geld, ist als Arbeitgeber attraktiver und tut sich auch leichter neue Kunden zu gewinnen.
Die Firma hat eine positive Zukunft, aufgrund ihrer Erfolge in der Vergangenheit. Das steigert ihren Wert und das spiegelt sich auch im Aktienkurs wieder.
Ist das schon Zinseszins? Streng genommen sicher nicht, denn es wird nichts ausgeschüttet.
Wenn Dividenden und Fonds-Ausschüttungen (die ja zum größten Teil nichts weiter als Dividenden sind) wieder angelegt werden, würde ich das als Zinseszins-Anlage bezeichnen und nicht als Zwangsverkauf, wie Leser J. es tut.
Wenn eine Firma die Dividende nicht ausschüttet, besitze ich als Aktionär: Firma + Bargeld-Reserven der Firma (die nicht ausgeschüttete Dividende).
Wenn eine Firma die Dividende ausschüttet, besitze ich als Aktionär: Firma + Bargeld auf dem eignen Konto (in der Realität vermindert um die Quellensteuer).
Das Geld ist von der Firma zu mir gewandert. Wenn ich möchte, kann ich jetzt Aktien nachkaufen und das Geld so wieder ins eigene Depot zurückführen.
Bei Fonds ist es ähnlich: Der thesaurierende Fonds legt die Dividenden sofort wieder an, der ausschüttende Fonds reicht die sie an den Anleger weiter, der dann entscheidet: Verbrauchen oder erneut anlegen.
Ich sehe hier keinen Zwangsverkauf, sondern eine Möglichkeit vom Zinseszins-Effekt zu profitieren. Ich kann mit dem Geld neue Anteile kaufen, die dann im nächsten Jahr ebenfalls dividendenberechtigt sind.
Leser J. spricht das Thema "Sicherheit des Zinseszinses" an:
"Wachstum und Gewinn eines Unternehmens haben nicht direkt etwas mit dem Kurs der Aktie zu tun.
Es ist ja durchaus möglich den Re-Invest durch dumme Projekte in den Sand zu setzen."
Korrekt. Es gibt keine Garantie auf einen Zinseszins. Das kann man aber nicht nur der Anlageklasse der Aktien vorwerfen. Auch Zins-Schuldner werden zahlungsunfähig und lassen so die Zinseszins-Reihe abreißen.
Wer in eine einzelne Firma investiert, trägt genau dieses Risiko. Deshalb empfehle ich auch marktbreite Index-Fonds. Dann mittelt sich über die Jahre alles aus und man erhält die statistische Marktrendite.
Exkurs: Wie lange hält so eine Zinseszins-Reihe?
Sicher nicht so lange wie in der Kalkulation des Jesuspfennings (einen Pfennig zu Jesu Geburt in die Krippe gelegt und heute könnte man von dem Zinseszins-Betrag die halbe Galaxis kaufen).
Die beste Zeitreihe in Westeuropa dürfte die heilige römisch-katholische Kirche hinbekommen, aber selbst der kam die Säkularisation dazwischen. Trotzdem ist die römisch-katholische Kirche mit gut 8.200 km² Grundbesitz größter privater Grundbesitzer in Deutschland.
Danach kommen die alten Adelsgeschlechter, wie die Grimaldis in Monaco, die Wittelsbacher oder die Habsburger. Auch die haben die Stürme der Zeit erstaunlich gut überstanden.
Sie sehen: Seine volle Wirkung entfaltet der Zinseszins erst als Mehrgenerationen-Projekt. Um so richtig vom Zinseszins zu profitieren, muss man Teil einer Dynastie sein.
Aber auch für uns als Nicht-Dynastiker sind die Ergebnisse aus 30 oder gar 40 Jahren Zinseszins ganz beachtlich.
Fazit
- Einen Zinseszins kann es nur geben, wenn Menschen involviert sind. Zinseszins ist entweder Kapitalmiete (bei Zinsprodukten) oder weil Menschen, unser Geld einsetzen, um einen Mehrwert zu produzieren, von dem wir als Geldgeber unseren Anteil bekommen (Aktien).
- Rohstoffe verzinsen sich nicht, die liegen nur rum. Öl verwandelt sich nicht von selbst in Benzin. Menschen raffinieren Öl zu Benzin => siehe Punkt 1 dieser Liste.
- Manche Konsumgüter tarnen sich mit einem hohen Preis und tun so, als wären sie ein Vermögenswert.
Zum Weiterlesen
- Zinseszins: Die Regel von der 72 macht Sie reich
- Warum teuer nicht automatisch "ist ein Vermögenswert" bedeutet: Sind Sie schon ein Vermögenswert oder noch eine Verbindlichkeit?
- Rohstoffe: Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ich nicht!
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