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Was hält der Finanzwesir von ETFs ‒ eine Positionsbestimmung

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Nachdem ich in der letzten Zeit etliche Mails bekam, die mich bezichtigen, ein gedungener Scherge des Großkapitals zu sein (die echte Wortwahl war etwas trolliger, ich zitiere sinngemäß), wird es Zeit für eine Klarstellung:

Warum empfiehlt der Finanzwesir wieder und immer wieder ETFs?

Weil ich ETFs für das Nonplusultra schlechthin halte? Nein
Weil ich ETFs für die beste Lösung in einer nicht perfekten Welt halte? Ja

ETFs haben eine Menge Nachteile

ETFs sind weit davon entfernt, perfekt zu sein. In diesem Artikel fasse ich die Nachteile zusammen.

ETFs haben einen Verkaufsprospekt

Eine Aktie kommt ohne Kleingedrucktes aus, zu jedem ETF gibt es drei Dokumente frei Haus:

  1. Das Factsheet liefert die Infos, die Ihnen die Marketing-Abteilung mitteilen möchte.
  2. Das Key Investor Information Document (KIID) liefert die Informationen, von denen der Gesetzgeber möchte, dass Sie sie kennen.
  3. Der Verkaufsprospekt ‒ die volle Breitseite.

Diesen Papierkram muss man lesen und verstehen. Deshalb gibt es hier und auf anderen Blogs Dutzende von Artikeln über Replizierer versus Swapper, über Wertpapierleihe, das Steuer-Generve und all die anderen Haken und Ösen.

Front-Running ‒ ein konstruktionsbedingter Nachteil

Leser S. schreibt

"Vor kurzem habe ich gelesen, dass es wegen des Wachstums von ETFs neue "Front Running"-Phänomene gibt."

Was ist Front-Running? Wer läuft da vor wem her?

Jeder Index wird regelmäßig angepasst. Dann müssen die Indexfonds ebenfalls umschichten.
Es ist bekannt, wann das passiert. Aktive Anleger machen sich das zunutze, indem sie gezielt Aktien von Unternehmen kaufen, die kurz davor stehen, in einen großen Aktienindex aufgenommen zu werden.
Der Fonds muss dann zu erhöhten Kursen einkaufen. Das kostet Anleger zwischen 0,2 % und 0,5 % pro Jahr an Performance.

Wenn Sie mehr über Front-Running wissen möchten: Der Finanzkoch hat die Details.

Market Maker ‒ ein konstruktionsbedingter Nachteil

Wie läuft so ein ETF-Handel ab? Grob vereinfacht so: Ich will kaufen, Sie wollen verkaufen, der Deal geht durch, fertig. Alle sind zufrieden.
Was passiert aber, wenn ich kaufen will, aber Sie nicht verkaufen wollen oder wenn Sie verkaufen wollen und ich auch?
Dann betritt der sogenannte Market Maker die Szene. Er "macht den Markt", in dem er kauft, wenn keiner kaufen will und verkauft, wenn keiner verkaufen will.
Der Market Maker stellt die Kurse und bringt die Liquidität in den Markt. Market Maker sind Banken, Brokerhäuser und andere Profis, die von der ETF-Firma angeheuert werden, um die Liquidität sicherzustellen.
iShares hat in seinem "Multi-dealer Model" bis zu 52 Market Maker unter Vertrag, um sicherzustellen, dass ein Handel immer möglich ist.

Klingt doch gut. Wo ist das Problem? Bei 52 Hanseln wird doch wohl einer handlen wollen.

Ja, aber nur wenn die Märkte ruhig dahinfließen. Fragen wir uns doch mal: Wie kommen die Kurse für den ETF denn zustande?
Ganz einfach: Der Kurs des ETFs berechnet sich aus den gewichteten Kursen des Aktienkorbs.
Beispiel: Mein ETF besteht zu

  • 30 % aus Aktie A mit dem Kurs 50 €
  • 20 % aus Aktie B mit dem Kurs 100 €
  • 50 % aus Aktie C mit dem Kurs 40 €

Dann kostet ein Anteil meines ETF:
30 % x 50 € + 20 % x 100 € + 50 % x 40 € = 55 €

Was aber, wenn ich als Market Maker keine Kurse für meine Aktien bekomme? Dann kann ich entweder den Handel einstellen oder ich muss raten. Wenn ich im Blindflug unterwegs bin, werde ich eine riesige Sicherheitsmarge einbauen. Dann werde ich nicht 55 Euro pro Anteil bieten, sondern vielleicht 15 bis 20 Euro.

Wie kann es dazu kommen?

Wenn Wall Street den Ausnahmezustand erklärt, wird der Handel eröffnet, ohne dass vorab – wie sonst üblich – Hinweise auf den wahrscheinlichen Eröffnungskurs für gelistete Aktien geliefert wurden.
So, und schon steh’ ich da wie der Depp als Market Maker.
Auch wenn ETFs hier eher Opfer als Täter sind, sie leiden unter diesem Verhalten.
Für Buy-and-holder sicher ein aussitzbares Problem. Sie müssen nur aufpassen, dass Ihnen das nicht gerade am Rebalancing-Tag passiert.
Meine Überlegungen sind nicht bloß Theorie, sondern am 24. August 2015 so eingetreten, wie die Neue Züricher Zeitung schreibt.

ETFs sind nicht passiv

Kein richtiger Nachteil, aber ein großes Missverständnis. Die Masse der ETFs ist nicht entwickelt worden, um passiven Anleger das Leben zu vereinfachen, sondern damit gewerbliche Anleger aktiv auf ganze Märkte oder Segmente setzen können.
Wer an die glorreiche Zukunft Brasiliens glaubt, musste sich früher seinen Aktienkorb selbst zusammenkaufen, heute nimmt man einen ETF auf den MSCI Brasilien und ist fertig.
ETFs unterstützen die Industrialisierung der Finanzindustrie. Kein Autobauer zieht noch selbst die Strippen, man kauft fertige Kabelbäume vom Zulieferer. ETFs sind die Kabelbäume der Finanzindustrie, und wir Privatanleger dürfen auch kaufen. Das bedeutet: ETFs sind im Allgemeinen sehr liquide. In der Krise brauchen Sie als DIY-Anleger starke Nerven, um nicht zu verkaufen.
Wenn gerade mal keine Krise ist, laden die ETFs zu einem kleinen Zock ein: "Hallo Süßer, ich bin der Pharma-ETF. Wie wär’s mit uns. Ich steige in den nächsten drei Monaten ganz bestimmt. Dann kannste mich wieder verkaufen."

Deshalb spricht sich die Investment-Legende John Bogle ganz klar gegen ETFs aus.

The 85-year-old said the fact that ETFs can be bought and sold at any time created a temptation to trade in which the only "sure winners are the brokers and dealers of Wall Street".
Quelle: Financial Times

Auch Ali Masarwah, Chefredakteur der deutschsprachigen Morningstar-Seiten, meint aus diesem Grund: ETFs sind für Anleger nur dritte Wahl.

Gut, auch Aktien sind schnell verkauft, aber die gelten auch nicht als "passiv".
Mehr dazu vom Finanzwesir:

ETFs wandeln sich

Bitte schauen Sie sich kurz dieses Bild mit den sechs Generationen des VW Golf an.
Ja, man erkennt jedes Fahrzeug als VW Golf, aber während der Golf 1 klein und kantig ist, gibt’s beim Golf 6 sogar einen Knie-Airbag.
VW hat sein Produkt stetig weiterentwickelt. Das tun auch die ETF-Firmen. Sie beobachten den Markt und passen ihre Produkte an.
Zwei Beispiele gefällig:

Lyxor wechselt die Anlagephilosophie

"Die ETF des Anbieters Lyxor haben bisher den Verlauf der Marktindizes meist mithilfe von Derivaten simuliert. Nun soll die Hälfte von ihnen die Indizes physisch nachbilden – wie bei der Konkurrenz."
Quelle: Neue Züricher Zeitung

iShares wird steuerfreundlich

"Im Rahmen unserer fortlaufenden Überprüfung und Verbesserung der iShares-Produktpalette haben wir die Ausschüttungsmethodik für die in Irland domizilierten ausschüttenden iShares umgestellt."
Quelle: PDF von iShares

So etwas passiert immer wieder, deshalb sollten Sie regelmäßig im Wertpapier Forum unter ETF Nachrichten nachschauen.

Was lernen wir daraus?

Viele Leserbriefe haben den Tenor: Ich gebe mir jetzt ganz mega unfassbar viel Mühe mit der ETF-Auswahl. Ich schaue gaaaanz genau auf Steuer, Replikationsmethode, Kostenquote, wäge noch gaaaaanz genauer ab, prüfe meine Gefühle und meinen Geldbeutel und entscheide dann wohlabgewogen, intelligent und final.
Mit anderen Worten: Nennt mich Salomon.
Blöd nur: ETFs sind keine Pyramiden, ETFs sind nicht für die Ewigkeit gebaut, ETFs huldigen dem Panta rhei.

Spielen wir doch mal Mäuschen bei iShares.
Jahrelang jammern die deutschen Privatanleger über die blöden Zwischenthesaurierungen. Blackrock lässt sie jammern. Eine Produktumstellung kostet mit Sicherheit eine hohe fünfstellige Summe, das lohnt nicht.
Auftritt der Robos. Immer wieder scheitert der iShares-Vertrieb an dieser Zwischenthesaurierung.
Die Robos sagen: Euer Produkt ist interessant, die Konditionen stimmen, aber die blöde Zwischenthesaurierung nervt. Wir haben keinen Bock auf diesen Steuerkram. Stellt das mal ab, dann reden wir weiter.
Irgendwann liegen da Deals im Wert von vielen hundert Millionen Euro auf dem Tisch und gehen nicht weiter. Die iShares-Verkäufer werden richtig sauer, denn so wird das nichts mit ihrem Jahres-Bonus.
Irgendwann beugen sich die Produkt-Jungs dann und das Produkt wird umgestellt.

Lyxor stellt um, weil Swap-ETFs als pfui-bäh gelten.
Jeder ETF-Anbieter will verkaufen und wird sein Produkt bestmöglich an die Wünsche der Käufer anpassen. Da sich die Wünsche der Käufer im Laufe der Jahre verändern, wird sich auch das Produkt verändern.
Wollen Sie wirklich heute noch mit einem Golf 1 unterwegs sein?

Ihre Aufgabe: Kaufen Sie einen ETF, der heute Ihren Anforderungen genügt. Gehen Sie aber nicht davon aus, dass er dann still herumhocken wird. Die Dinger leben und verändern sich.
Rebalancing bedeutet deshalb:

  1. Die ursprünglichen Gewichtungen wiederherstellen
  2. Kurzer Check: Haben sich die Fundamentaldaten meines ETFs geändert?

Exkurs

Meb Faber sieht für die Zukunft der ETFs ein negatives TER. Das bedeutet, die Wertpapierleihe bringt mehr ein, als das Management kostet.
Das würde bedeuteten, dass so ein ETF den Index schlägt. Muss er auch, denn die Wertpapierleihe bringt ein zusätzliches Risiko, für das ich als Anleger entschädigt werden will.

ETFs vermehren sich wie die Karnickel

Auch kein echter Nachteil, sondern eher ein Ärgernis, das es Anfängern schwer macht, den richtigen ETF zu finden.
Wir leben in einer Überflussgesellschaft. Wenn man ein 72-Stunden-Deo an den Mann bringen kann, warum dann nicht auch einen dreifach gehebelten ETF anbieten? Wenn bestimmte formale Kriterien erfüllt sind, muss die BaFin einen ETF zulassen, egal ob der Fonds sinnvoll ist oder nicht.
Erfahrene Anleger werfen dann die Kettensäge an und mähen sich durch den Dschungel (irgend jemand Doom in seiner Jugend gespielt?), der Anfänger und vor allem die Anfängerin sind vollkommen verunsichert.
95 % aller ETFs, die angeboten werden, braucht kein Mensch. Vor allem nicht die ETFs zwischen Low-Beta und Momentum.
Bedenken Sie: Ein ETF kann nur so liquide sein, wie die Wertpapiere, die er abbildet. Je enger der Markt ist, den der Index abbildet, umso schneller kann er austrocknen, wenn es zu einem Crash kommt.

Siehe dazu ETF companies boost bank credit lines amid liquidity concern von Reuters.
und
Prepared Testimony by Harold Bradley and Robert E. Litan Before the United States Senate Committee on Banking, Housing, and Urban Affairs Subcommittee on Securities, Insurance, and Investments

ETFs sind unpolitisch und nutzen ihre Macht nicht

Kostenkontrolle ist alles beim ETF. Marktbreite ETFs haben über 1.000 Firmen im Aktienkorb. Soll man da jetzt zu jeder Hauptversammlung jemanden hinschicken, um als (Groß)-Aktionär Einfluss zu nehmen?
Für die meisten ETF-Anbieter eine klare Entscheidung: Das sparen wir uns.
Charles Munger, Weggefährte von Warren Buffett findet das nicht gut:

"Indexfonds sind dauerhafte Aktienbesitzer. Das gibt ihnen eine Macht, die sie nicht richtig nutzen."

Wie groß diese Macht ist, zeigt sich am Beispiel Apple: Zwölf Prozent der Aktien gehören Vanguard, BlackRock und State Street. Je mehr Geld die ETFs und Indexfonds einsammeln, umso größer wird ihr Einfluss.
Ein Ende des ETF-Booms ist nicht in Sicht. So, wie es derzeit aussieht, wird auch 2015 ein Rekordjahr.
Ende September verwalteten die ETF-Anbieter weltweit 2,8 Billionen Dollar, 230 Milliarden Dollar kamen alleine in diesem Jahr dazu. Geht das Wachstum in diesem Tempo weiter, wird 2016 die Drei-Billionen-Grenze geknackt.

Ok, verstehe, dann lasse ich die Finger von ETFs

Tun Sie das.
Nur um eins klarzustellen: Das hier ist kein ETF-Blog, sondern es geht ‒ wie in unserem Podcast ‒ um das Thema finanzielle Bildung.
Es müssen keine ETFs sein. Sammeln Sie Kronkorken oder investieren Sie in eine Nandu-Farm, mir egal.
Hauptsache, Sie haben die für Sie passende und tragfähige Strategie am Start.

Warum empfehle ich dann trotzdem immer wieder ETFs?

Weil für mich trotz aller Nachteile die Vorteile überwiegen.
Es gibt vieles, das man an ETFs kritisieren kann, nur die Frage ist immer: Was ist die Alternative?
Was kann ich als Privatmensch, der sein Geld mit abhängiger Arbeit verdient, stemmen?
Wie viel Zeit kann ich für meine Finanzen aufwenden, wenn ich schon Arbeit, Familie, Freunde und den Schlafen/Essen/Hygiene-Block am Start habe?

Die Frage ist doch: Wo bekomme ich ein Finanzvehikel, mit dem ich

  • breit diversifiziert,
  • kostengünstig,
  • einfach (Sparplan)

an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben kann?

Für mich ist das aktuell ein ETF. Aber: Zeigen Sie mir etwas Besseres als einen marktbreiten ETF und ich bin dabei.


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