Quantcast
Channel: Finanzwesir
Viewing all articles
Browse latest Browse all 678

Leserfrage: Wie kann ich ein Thema allumfassend durchblicken?

$
0
0

Leser E. fragt

Zunächst ein paar persönliche Daten:

  • 31 Jahre, ledig, studierter Wirtschaftsinformatiker, Verdienst 54.000 Euro pro Jahr im unbefristeten Arbeitsverhältnis.
  • Partnerin, 28 Jahre, Beamtin auf Lebenszeit (A9)
  • Kinderwunsch in 2-3 Jahren
  • Selbstgenutzte Etagenwohnung vorhanden, 83 qm, Wert rund 170.000 Euro, Restschuld: 23.000 Euro

Nun zu meiner Frage. Was hältst Du von folgender Variante:
Vermieten der Etagenwohnung und in ein Haus zur Miete ziehen?
Eine - für uns persönlich - höhere Wohnqualität, gerade auch im Hinblick auf den Nachwuchs ist das Hauptargument für ein Haus.
Wieso nicht kaufen oder bauen, sondern die oben genannte Variante?
Die Vorteile liegen zunächst einmal auf der Hand. Flexibilität, keine Finanzierung notwendig, geringere finanzielle Belastung.
Nachteile und Risiken sehe ich in möglichen Mietausfällen, dem stets unsicheren Mietverhältnis im angemieteten Haus.

Aber mir fällt es unheimlich schwer das Thema allumfassend zu durchblicken. Über eine Einschätzung deinerseits würde ich mich sehr freuen!

Der Finanzwesir antwortet

Der Spezialfall: "Soll ein 31 Jahre alter Wirtschaftsinformatiker mit seiner Partnerin in ein Haus einziehen?" ist für die meisten Leser uninteressant und ich kann die Frage auch nicht wirklich beantworten.
Viel zu wenige und zu ungenaue Fakten. Sind die 54.000 Euro pro Jahr jetzt brutto oder netto?

Ich will zu Antoine de Saint-Exupéry auf die Meta-Ebene. Der hat nämlich gesagt

"Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer."

Genau das will ich auch: Nicht Excel anwerfen, um anschließend den Wald vor lauter Zahlen nicht mehr zu sehen, sondern eine Strategie entwickeln, die mir grundsätzlichen in allen Situation hilft, bei denen es mir

"unheimlich schwer fällt, das Thema allumfassend zu durchblicken."

Was wir brauchen ist eine Blaupause, mit deren Hilfe wir uns für jeden Ozean der Ungewissheit das richtige Boot bauen können.

Um das mal so apodiktisch festzuhalten:

Wenn wir etwas allumfassend durchblicken können, ist es nicht wesentlich.

Ich kann eine 100%-Entscheidung in Bezug auf das Joghurt-Angebot im Supermarkt fällen. Ich kauf’ sie alle, probier’ sie alle und dann küre ich meinen Favoriten.
Alle wesentlichen Dinge, wie

  • Sollen wir zusammen ziehen?
  • Sollen wir Kinder kriegen?
  • Werde ich im neuen Job erfolgreich sein?
  • Kriege ich Krebs?
  • Werde ich die Autobahnfahrt von Hamburg nach München überleben?

lassen sich nur bis zu einem gewissen Grad durchblicken. Es bleibt ein Bodensatz, das berüchtigte Restrisiko.
Das faszinierende am Restrisiko: Es ist unsterblich. Selbst wenn man den Aufwand es zu beseitigen gegen Unendlich gehen lässt - es sitzt einfach da und grinst einen fröhlich an.
Das Restrisiko lässt sich nicht umbringen, aber man kann es mit einem Prozess, den ich Triage nenne ziemlich klein halten.

Triage

Triage geht so:

  • Für ihn: Mit Blatt Papier, Stift, Frau und Bier an einen Tisch setzen.
  • Für sie: Mit Blatt Papier, Stift, Mann und Prosecco an einen Tisch setzen.

Dann das Blatt mit einem Strich in zwei Hälften teilen. Links alle Pro-Argumente, rechts alle Kontra-Argumente für "Lass uns ein Haus mieten".
Wenn E. und seine Partnerin sich ein bisschen Mühe geben, werden sie mit hinreichender Sicherheit alles Wichtige aufschreiben.
Jetzt wird jedes Argument bewertet. Pro Argument gibt’s zwischen einem und drei Sterne.

  • Dinge, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten und schwere Konsequenzen haben, erhalten drei Sterne. Auf der Pro-Seite bedeutet "schwere Konsequenzen" natürlich: Das wird uns mit Sicherheit sehr glücklich machen.
  • Zwei Sterne für Ereignisse, die mit geringerer Wahrscheinlichkeit auftreten oder nicht so gravierend sind.
  • Ein Stern für alles, was Nice-to-have ist, beziehungsweise nicht wirklich schädlich, sondern nur lästig ist.

Nun werden die Sterne gezählt.

  • Links hat mehr Sterne: Haus mieten
  • Rechts hat mehr Sterne: kein Haus mieten

Fertig. Dann kommt die Umsetzung.

Fazit

Besser erledigt als perfekt. Das gilt für alle großen Lebensentscheidungen.

Was seine Partnerin angeht: Keine Mann auf dieser weiten Welt wird jemals eine Frau, selbst wenn es die Frau ist

"allumfassend durchblicken."

Trotzdem will E. mit ihr eine Familie gründen.
Deshalb sage ich: Mut zum Unbekannten. Probleme werden wenn sie auftauchen entweder erledigt oder ausgesessen.
Eine brauchbare Lösung, die ich heute umsetzen kann, ist immer besser als die perfekte Lösung, die am St. Nimmerleinstag umgesetzt wird.
Ich sage brauchbar, nicht leichtfertig! Es geht nicht darum die Sache möglichst schnell vom Tisch zu haben. Es geht darum, das Wesentliche zu erkennen und zu entscheiden und das Grübeln zu lassen.

Besser erledigt als perfekt
Grübeln = minimaler Erkenntnisgewinn bei maximalem Aufwand

Das üble am Grübeln: Man hat eine brauchbare Lösung gefunden, setzt diese aber nicht konsequent um, sondern grübelt links und rechts herum und verdaddelt so den Erfolg.
Der Grübler glaubt dann: Ich muss noch vorsichtiger sein und muss mich noch besser vorbereiten.
Das ist Quatsch! Wäre man die Sache konsequent angegangen, wäre man erfolgreich gewesen.

Zum Weiterlesen

Was ist Risiko?


Viewing all articles
Browse latest Browse all 678