Value at Risk (VaR) ist ein Risikomaß.
Bei Banken und auch Versicherungen hat die Risiko-Kennzahl "Value at Risk" seit Mitte der 90er Jahre einen fast kultartigen Status erreicht. Um die Jahrtausendwende war es bei den Risikoanalysten gerade zu dem Zeitpunkt das Maß aller Dinge, als in den USA die Immobilienblase platzte.
Mir ist sie in letzter Zeit immer wieder bei besonders "progressiven" und "wissenschaftlichen" Finanz-Dienstleistern unter gekommen. Ich habe mich gefragt: "Was ist denn dieses Value at Risk genau?"
Die Definition
Definiert wird der Value at Risk als der höchste zu erwartende Verlust eines Wertpapiers der mit einer zuvor definierten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines fest bestimmten Zeitraums nicht überschritten wird.
Value at Risk beantwortet Fragen wie
Wie viel Geld darf ich in Daimler-Aktien investieren, wenn ich bei einer Haltedauer von einem Monat mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% nicht mehr als 500 Euro verlieren möchte?
Schauen wir uns einmal die Schwellenländer an.
Wir betrachten den Zeitraum zwischen Anfang Januar 1988 und Ende Dezember 2012. Das sind 25 Jahre oder 300 Monate.
Was uns interessiert: Mit welchen Verlusten müssen wir als Anleger in jedem der schlechtesten 5% der betrachteten Monate mindestens rechnen?
Hier kommt die Value-at-Risk-Kennzahl ins Spiel. Da wir uns auf die schlechtesten 5% konzentrieren wollen, ist unser Value-at-Risk-Niveau das 95%-Niveau.
Würden wir uns für das schlechteste 1% in der Zeit zwischen 1988 und 2012 interessieren, wäre unsere VaR-Kennzahl das 99%-Niveau.
Das VaR-Niveau sagt uns der Verkäufer, denn er nutzt es als Verkaufsargument. Ihre Aufgabe: Sie müssen verstehen, was der Satz:" Das 95% VaR-Niveau liegt bei -12,11%".
Fangen wir an:
95% bedeutet: Wir betrachten die schlechtesten 5% der Monate. Unsere Zeitspanne umfasst 300 Monate. 5% von 300 Monaten sind 15 Monate. Immerhin ein Jahr und ein Quartal.
-12,11% bedeutet: In den schlechten Monaten wird ihr monatlicher Verlust mindestens 12,11% betragen.
Fazit: In 15 von 300 Monaten wird Ihr Schwellenland-Investment um mindestens 12,11% schrumpfen.
Beachten Sie zwei Dinge:
- Schrumpfen bedeutet nicht, dass Sie absolut gesehen Verluste machen. Wenn Ihr Depot vorher entsprechend gestiegen ist, können Sie trotzdem noch im Plus sein.
- VaR macht keine Aussage über den größten anzunehmenden Unfall. Was genau in diesen letzten 5% passiert, darüber schweigt sich diese Kennzahl aus. Die Verluste können auch 20%, 30% oder 50% betragen. Die 12,11% sind ein Mindestverlust. Es kann auch - deutlich - mehr werden.
Die Probleme
Mit Value at Risk verschleiere ich das Risiko
Nehmen wir den Satz: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit diesem Investment 100 Millionen Euro oder mehr verliere, liegt nur bei 5 Prozent."
Mathematisch nicht zu beanstanden. Das Problem sind die zwei Worte "oder mehr", die im folgenden Verkaufsgespräch nicht mehr erwähnt werden.
Damit verlieren Sie als Anleger die maximalen Verlustrisiken aus den Augen. Value at Risk verschafft Investment-Managern die Möglichkeit, Risiken in enormen Umfang zu verstecken. Gerade bei komplexen Finanzprodukten geht das sehr einfach.
"Solange eine Bank über Value at Risk eine beliebige Menge an Risiken verbergen kann, ist es völlig egal, ob sie eine Eigenkapitalquote von 8 Prozent oder von 30 Prozent hat."
Prof. Dr. Frank Riedel vom Institut für mathematische Wirtschaftsforschung in Bielefeld
Ein niedriges VaR bedeutet nicht, dass die empfohlene Anlageform besonders Crash-sicher ist. Es bedeutet nur, dass sie im Allgemeinen recht wenig schwankt. VaR ist ein Schönwetter-Risikomaß, denn was bei einem Extremereignis passiert, ist nicht Teil des Modells. Aber genau dieser Bereich ist für uns als Anleger besonders wichtig.
Value at Risk sagt nichts über das "Wann" aus
Das VaR-Modell gibt auch keine Auskunft über die Periodizität. In unserem Beispiel bedeutet das: Die Kurse der Schwellenland-Aktien können 23 Jahre und neun Monate steigen und in den letzten 15 Monaten geht es dann jeden Monat um mindestens 12,11% nach unten.
Mit anderen Worten: Längere Dürreperioden lassen sich mit diesem Modell nicht vorhersagen.
Dazu kommt, dass die VaR-Kennzahl für langfristige Anleger sowieso nur einen sehr geringen Wert besitzt.
VaR bezieht sich immer auf einen Zeitraum. Wenn dieser "unendlich" ist, versagt das Modell.
Die VaR-Berechnung wurde für eine Haltedauer von einem Tag entwickelt, nicht für die normalen Anleger mit einem Anlagehorizont von 5 bis vielleicht 30 Jahren. Wenn ich einen so langen Anlagehorizont habe und dann mit diesem Risikomaß arbeite, das für einen Tag designt sind, dann ist das doch offensichtlich absurd. Hier werden Langfristanleger mit Instrumenten bedient, die eigentlich für Daytrader gedacht sind.
Fazit
Value at Risk ist nicht "schwarzer-Schwan-sicher". Seltene Ereignisse, die grausam zuschlagen, brechen der VaR das Genick.
Nur mit Value at Risk lässt sich kein Depot sinnvoll absichern. Lassen Sie sich nicht einwickeln von listigen Verkaufsfüchsen, die ihnen mit pseudo-wissenschaftlichen Begründungen das Geld aus der Tasche ziehen wollen.