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Für eine Überrendite im Leben

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Letzthin waren wir Segeln auf der Ostsee. Wenn die Segel gesetzt sind, übernimmt der Wind die Arbeit und man kann versonnen bis nachdenklich den Lauf der Wellen betrachten.
Am Montag haben wir unseren Podcast zum Thema "Humankapital - Die eigene Arbeitskraft" herausgebracht und im Bekanntenkreis sind einige Dinge passiert, die das Vorstellungsvermögen eines Menschen unter 40 Jahren doch arg strapazieren.
Also liebe Leser, höret die Moritat eines alten Mannes.

Definition Moritat: Enthält schaurige und gruselige Verbrechen mit einem moralischen Hintergrund.

Verbrechen habe ich keine, aber eine schicke Moralkeule.

Die Analogie

Wenn Geld anlegen, dann Weltportfolio. Das Weltportfolio besteht

  1. Aus dem Petrus-Anteil. Sichere Anlageformen, wie Tages- oder Festgeld oder Staatsanleihen, die kaum Zinsen abwerfen, aber Stabilität bringen.
  2. Aus dem Mr.-Market-Anteil. Das sind die Aktien. Sie schwanken, gehen auch mal ins Minus, bringen aber langfristig die Rendite.

Zitat aus meinem Aufsatz über die eigene Arbeitskraft:

"Ein 26jähriger Akademiker hat das Potenzial, im Laufe seines Lebens knapp zweieinhalb Millionen Euro zu verdienen."

Ihre Arbeitskraft schlägt vom Volumen her alle anderen Anlageklassen um Längen.

Was ist die normale Reaktion auf ein Klumpenrisiko? Man versucht zu diversifizieren. Nur, wie diversifiziert man die eigene Arbeitskraft?
Zwei Jobs annehmen und dann rund um die Uhr arbeiten?
Aber wer hält das auf Dauer aus? Und wie soll man dann jemals seine Liebe finden?
Nein, das ist keine praktikable Lösung.
Vielleicht doch.

Die Idee

Die erste Hälfte des Satzes

"Zwei Jobs annehmen und dann rund um die Uhr arbeiten."

ist doch ganz brauchbar. Nur das mit dem

"rund um die Uhr arbeiten"

ist Murks.

Warum übertragen wir nicht das Weltportfolio-Konzept auf die eigne Arbeitskraft? Wir brauchen einen risikoarmen, sicheren Anteil und einen risikobehafteten, renditeträchtigen Anteil.

Der sichere Anteil

Wir stellen drei Forderungen an den sicheren Anteil:

  1. Er muss soviel einbringen, dass wir davon - wenn auch sehr bescheiden - leben können. Ein einfaches Dach über dem Kopf und der Kühlschrank voll mit Aldi-Produkten.
  2. Er darf uns auf keinen Fall emotional belasten. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.
  3. Er muss unkündbar sein oder es muss sich nach einer Kündigung schnell Ersatz finden lassen.

Welche Jobs kommen in Frage?

Am besten ist eine Teilzeitstelle als Beamter im öffentlichen Dienst.
Aber aufgemerkt, nicht jede Stelle ist geeignet!
Ein Polizist oder eine Krankenschwester haben emotional belastende Aufgaben. Mir geht es nicht um die Angestellten und Beamten, die operativ an der Front arbeiten, sondern um die Nachtschattengewächse, die in den Totarmen der Verwaltungsbürokratie gedeihen. Genau so einen Job brauchen Sie. Perfekt ist eine Teilzeitstelle in einer Organisation ohne Publikumsverkehr, die rein nach Aktenlage um sich selbst kreist.
Jetzt sind Sie unkündbar und werden - genau wie ihre Vollzeitkollegen - rein nach Betriebszugehörigkeit befördert.
Nicht perfekt, aber auch gut: Eine offizielle Stelle als Putzfrau in einem Privathaushalt. Keine Schwarzarbeit!
Warum?

  1. Sie arbeiten selbstbestimmt. Sie kommen, Sie putzen, Sie gehen. Niemand redet Ihnen rein und wenn Sie gehen, sehen Sie, was Sie geschafft haben. Deshalb Privathaushalt und nicht gewerbliche Putzkolonne. Dauerndes "Dawai, dawai" nervt.
  2. Keine Schwarzarbeit, denn mit diesem Job wollen Sie Teil des Systems sein. Die Rendite dieses Jobs macht sich nicht nur am Stundenlohn fest, sondern auch an den eingesparten Euros zur Krankenversicherung und den anderen Sozialabgaben fest. Ziel muss es sein, zum Discountpreis ins System zu kommen.
  3. Wenn es Ihnen nicht mehr passt, gehen Sie. Putzstellen lassen sich immer finden.
  4. Aber ich bin ein Mann! => Bewerben Sie sich als Technik-Dompteur im Haushalt, Billy-Bezwinger (ich schraube, Sie leben) oder Garten-Guru.

Nicht geeignet ist sind Jobs wie

  1. Regale auffüllen im Supermarkt
  2. Samstags beim Bäcker verkaufen

Warum? Wegen Punkt zwei der Liste. Man weiß nie, mit wem man da zusammenarbeiten muss und als letztes Glied in der Hierarchiekette soll man springen und nicht diskutieren. Nicht vergessen: Wir suchen keine sozialen Kontakte, sondern wollen preiswert ins System.

Der unsichere Anteil

Wir stellen vier Forderungen an den unsicheren Anteil:

  1. Er muss Geld bringen.
  2. Er muss uns uns Spaß machen und uns fordern.
  3. Er muss in Teilzeit machbar sein.
  4. Es muss eine selbständige Tätigkeit sein.

Welche Jobs kommen in Frage?

Jetzt wird’s richtig individuell. Wenn ein Job die vier Bedingungen erfüllt, kommt er in Frage. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Ich kann aber einige Beispiele aus dem erweiterten Bekanntenkreis bringen

  1. Wer gerne segelt und alle nötigen Scheine hat, bietet als Skipper Törns in den beliebten Segelrevieren an. Mit seinem Hobby in der Karibik Geld verdienen - das schafft nicht jeder.
  2. Fotografien online verkaufen. Mein Gott, was für ein alter Hut, habe ich gedacht. Aber ich musste lernen: Das gibt es noch viele unbesetzte Nischen. Man muss den Markt eben kennen.
  3. Dann wäre das noch die gute alte Immobilie. Sei es als reguläre Vermietung oder als Ferienhaus.
  4. Die üblichen Verdächtigen: Handelsgeschäfte, Vermittlungsgeschäfte, irgend etwas mit Internet…

Was immer es ist, es bringt Geld, Sozialprestige und interessante Kontakte. Es bereichert Ihr Leben.
Aber: Es ist so individuell wie Sie.

Verlassen Sie die ausgetretenen Wege. Schauen Sie sich individuell in Ihrem Revier um. Wenn Sie die Augen offen halten, werden Sie schon etwas finden.

Und die Börse?

Das, was Sie mit dem unsicheren Anteil verdienen und nicht zum Leben brauchen, legen Sie passiv an der Börse an.
Die Börse trägt langfristig über den Zinseszinseffekt zu Ihrem Wohlstand bei.

Das Modell im Überblick

Das Finanzwesir Überrendite-Modell

  1. Der sichere Job bringt das Brot. Sie greifen Sie die Vorteile des Systems ab und vermeiden die Nachteile so gut es geht.
  2. Die Selbständigkeit bringt den Lachs aufs Brot und sie füttert das Börsendepot. Leider schwankt sie. Im Schaubild habe ich "Macht das Leben schön" in 26 Punkt großer Schrift gesetzt. Manchmal ist das blaue Kästchen aber nur so groß, dass nur eine schönes Leben in 22 oder gar 18 Punkt drin ist. Dann ist es schön, wenn
  3. Die Börse einspringen kann. Zusammen kommen das schöne und das noch schönere Leben dann vielleicht wieder auf 26 Punkt. Die Hauptaufgabe der Börse ist es aber, die Altersvorsorge zu speisen.

Ich habe im Bild die drei Kästchen, "sicherer Job", "Selbständigkeit" und "Börse" gleich groß gemacht. Sieht halt besser aus. Aber im echten Leben atmet das System. Mal ist das eine Kästchen größer, dann wieder das andere.
Langfristig sollte

  • das Börsenkästchen immer größer werden,
  • das Selbständikeitskästchen immer so groß sein, dass es Ihnen Spaß macht,
  • das sicherer-Job-Kästchen immer kleiner werden und spätestens mit Rentenbeginn verschwinden.

Was gar nicht geht

Die traditionelle Karriere, mit der man meine Generation noch ködern konnte. Gute Ausbildung und dann zu einem "großen Namen". Für Ingenieure einer der Autobauer oder Chemieriesen. Die BWLer und Juristen werden ihre eigenen "großen Namen" gehabt haben.
Warum? Vor allem, weil die traditionelle Karriere gegen die Weisheit des John Davison Rockefeller verstößt, die da heißt:

"Lieber eine Stunde über Geld nachdenken, als eine Stunde für Geld arbeiten."

Die Karrierepyramide läuft ziemlich spitz zu. Die meisten Karrieren enden im Mittelmanagement. Zeitlich anspruchsvoll und emotional belastend. Das Sandwich kämpft einen Zweifrontenkrieg.
Überstunden werden erwartet und gelegentliche Dienstreisen machen aus einer 43-Stunden-Woche eine 50-Stunden-Woche. Nichts besonders Grausames oder Ausbeuterisches, nur der normale Wahnsinn.
Aber für ernsthaftes Nachdenken bleibt da weder Zeit übrig, noch ist Kraft vorhanden.
Doch, am Wochenende.
Am Samstag geht leider nicht. Da will die Frau zu Ikea. Neue Staubfänger kaufen, damit das Heim noch gemütlicher wird.
Verstehe, das duldet keinen Aufschub. Aber am Sonntag vielleicht?
Nein, schon in der Bibel steht:

"Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebten Tag sollst du ruhen."

Irgendwann ist Schluss. Am Montag geht der Wahnsinn in der Firma wieder los. Da muss ich fit sein.

Liebe Leserin, wenn Sie sich in diesem Dialog nicht wieder erkannt haben, hier kommt die Variante für Sie:

Doch, am Wochenende.
Am Samstag geht leider nicht. Da muss ich im Haushalt das erledigen, was unter der Woche liegengeblieben ist. Er verspricht immer viel, hält aber wenig und von Wäsche waschen hat er ja mal so was von keine Ahnung.
Verstehe, das muss gemacht werden. Aber am Sonntag vielleicht?
Nein, da gilt das gleiche wie für die Männer: Auch die härteste Kriegerin muss mal die Füße hochlegen.

Also, lieber Rockefeller, dann stell Dich mal hinten an mit Deinem "über Geld nachdenken".

Der Blutegel namens "kalte Progression"

Die Steuerprogression im Zusammenspiel mit den Sozialabgaben macht die ganze Sache noch unattraktiver.

Steuerprogression Quelle: Gehaltsrechner für Arbeitgeber, kinderloser Single (Steuerklasse eins, für das Jahr 2015), überall rein gesetzlich versichert (Kranken-, Renten-, Arbeitslosenversicherung)

Was sehen wir?

  • Bis zu einem Jahresbrutto von 10.000 Euro im Jahr behalten Sie 79%.
  • Ab 70.000 Euro Jahresbrutto toppt es aus. Sie sind jetzt an der Bemessungsgrenze der Sozialabgaben angelangt. Jetzt greift nur noch noch die Steuerprogression.
  • Der Sweet-Spot für den Staat: Die 10.000 Euro zwischen 10.000 und 20.000 Euro Jahresbrutto. Hier steigt die Abgabenlast relativ am stärksten. Wenn Sie 10.000 Euro verdienen, dürfen Sie 79% behalten, wenn Sie 20.000 Euro verdienen, dürfen Sie 71% behalten.
Jahresbrutto Das darf ich behalten Zunahme der Mehrbelastung
10.000 € 79,3%
20.000 € 71,1% 8,2%
30.000 € 65,8% 5,3%
40.000 € 62,3% 3,5%
50.000 € 59,5% 2,8%
60.000 € 58,0% 1,5%
70.000 € 56,5% 1,5%
80.000 € 56,1% 0,4%

Fazit für kinderlose Singles: Bis 10.000 Euro und ab 70.000 Euro Jahresbrutto geht’s. Alles dazwischen ist Todeszone. Diese Gehälter bezahlen in Deutschland die Steuern und Sozialabgaben.
Für Familien oder Ehepaare sehen die Zahlen anders aus, aber auch hier gibt es eine Untergrenze und eine Obergrenze.
Was tun? Entweder als Angestellter richtig, richtig über 70.000 Euro jährlich verdienen oder unter 10.000 Euro bleiben. Wohlgemerkt: Aus abhängiger Beschäftigung.

Abhängig Beschäftigter versus Selbständiger

Was ist der Hauptunterschied zwischen einem abhängig beschäftigten und einem Selbstständigen?

Cashflow Selbständiger

Der Selbständige zieht seine Kosten ab und zahlt auf den Rest Steuern. Zu einem guten Teil sind die Ausgaben nicht verloren, sondern Investitionen ins Geschäft.

Cashflow abhängig Beschäftigter

Der abhängig Beschäftigte zahlt Steuern und muss mit dem Rest seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Die Bewertung

Warum sollte man das so machen?

Weil diese Strategie drei Beine hat. Schauen Sie sich mal um. Immer wenn es darum geht, auf unebenen Boden einen sichern Stand zu finden, greifen wir zum Dreibein. Egal ob Stativ oder Schlagzeughocker.
Die Strategie kommt mit ziemlich wenig Staat aus, kann atmen und ist so antifragil, wie man sie sich nur wünschen kann.

Für abhängig Beschäftigte gilt: Es gibt zu jeder Karrierestufe ein bestimmtes Alter.
Die Bewerbung eines fünfzigjährigen Geschäftsführers ist willkommen (erfahrener Mann), einen fünfzigjährigen Sachbearbeiter braucht kein Mensch.
Man wird fragil über die Jahre als Arbeitnehmer.
Als Fünfzigjähriger kann ich bestätigen: Ab 50 ist man alt. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert "ältere Arbeitnehmer" als Menschen zwischen "50 und 64" (Quelle)
Die werbetreibende Wirtschaft hält uns für starrköpfig. Einem Fünfzigjährigen kann man nichts mehr verkaufen. Die werberelvante Zielgruppe in Funk und Fernsehen endet mit den 49-Jährigen.
Ab 50 ruft auch kein Headhunter mehr an.

Und unverhofft kommt oft. Eine renommierte Firma schließt ihren Standort in München.
Unser Bekannter hat lange Jahre dort gearbeitet, ist Mitte 50 und zieht nun von München nach Nordrhein-Westfalen, um dort im Haus seiner verstorbenen Eltern zu wohnen.
Warum? Das Arbeitsamt hält ihn für unvermittelbar und hat ihm eine Sofortrente verpasst. Ein Sofort-Renter, der mit einer Krankenschwester verheiratet ist, kann sich München nicht mehr leisten.
Das ist nur eine Anekdote und auf eine Anekdote darf man keine Lebensplanung aufbauen.
Trotzdem, diese Dinge passieren und sie passieren zu oft, als das man sie ignorieren könnte.
Ein typisches Schwarzer-Schwan-Problem: Es muss nicht schiefgehen. Aber wenn wenn es kracht, dann richtig. Zwischen 50 und 67 liegen 17 lange Jahre. Das ist sehr viel Zeit. Wer mit 25 seine erste Stelle annimmt, ist 17 Jahre später 42.

Was spricht dagegen?

Zwei Punkte sprechen dagegen:

  1. Diese Strategie ist extrem gegen den Strich gebürstet und widerspricht jedem Karriereratgeber. Außerdem fehlen erfolgreiche Vorbilder.
  2. Es ist ein Affront gegen das System.

Oh je, Finanzwesir "Affront gegen das System", was soll das denn? Geht’s auch etwas weniger wolkig?
Klar, ganz konkret heißt das: "Ich würde jemanden wie mich nicht einstellen".
Warum?
Jeder, der schon mal Leute eingestellt hat, weiß, wie nervig das ist. Ich habe das damals bei Yahoo! x-mal gemacht.
Man hat im Tagesgeschäft mehr als genug zu tun. Die Bewerbungen arbeitet man Abends durch. Dann muss man die ganzen Gespräche führen und die Personalabteilung kommt permanent mit irgendwelchen blödsinnigen Formularen.
Aber irgendwann hat man jemanden. Der kommt dann und kann nichts. Man muss die neue Person erst einarbeiten und nach einem halben bis einem Jahr hat man jemanden, der mehr bringt als er kostet.
Dieses Prozedere durchläuft niemand freiwillig öfter als nötig.
Was bedeutet das? Das es nichts schadet, wenn der neue Mitarbeiter nicht nur motiviert ist, sondern auch auf den Job angewiesen ist. Es heißt nicht umsonst "abhängig Beschäftigter".
Cowboys, deren Leben auf dem Konzept des "Fuck you" beruht, sind in diesem System nicht vorgesehen.

Kurz und bündig zusammengefasst von John Goodmann

Was nuschelt der?

"You get up 2.5 million dollars any asshole in the world knows what to do. You get a house with a 25 year roof, an indestructible Jap-economy shit box, you put the rest into the system and 3-5% to pay your taxes and that is your base.
You get me? That is your Fortress of Fucking Solitude.
That puts you for the rest of your life at a level of Fuck You.
Someone wants you to do something Fuck You, boss pisses you off Fuck You. Own your house, have a couple bucks in the bank, don’t drink. That is all I have to say to anybody at the social level."

Wenn Sie weder mir, noch John Goodmann glauben, dann glauben Sie vielleicht Heiko Mell, der seit 30 Jahren in der Karriereberatung der VDI Nachrichten erklärt, wie das System funktioniert.

Heiko Mell schreibt:

"Irgendwann "droht" Ihnen irgendwann ein Vorgesetzter, der jünger und unerfahrener ist als Sie. Diese Entwicklung geht so weiter: Mit 50 Jahren und ohne "weiteren Aufstieg" Ihrerseits ist Ihr neuer Chef dann vielleicht 32 und hätte acht, Sie jedoch haben sechsundzwanzig Jahre Berufspraxis.
Das ist eine gute Basis für allerlei Frustrationen.
Damit wir uns nicht missverstehen: Jeder kann frei entscheiden, ob er nun aufsteigt oder nicht. Und ich habe Hochachtung vor einem Einsender, der sagt: "Ich kann es nicht, ich fühle mich davon überfordert."
Aber ich rate jedem, seine Haltung noch einmal zu überdenken, wenn er ruft: "Ich will einfach nicht." Ein Talent zu haben und es bewusst nicht zu nutzen, macht in späteren Jahren leicht unglücklich.
Und es widerspricht durchaus dem Grundaufbau unseres beruflichen Systems. (Hervorgebung durch mich)"
Quelle: AT oder nicht AT?

Deshalb amüsieren mich die Artikel der "jungen Wilden" unter den Finanzbloggern ein wenig, die sagen: "Ich will einfach nicht". Wer mit Mitte vierzig oder noch früher ernst macht mit dem Ausstieg aus klassischen Angestelltenleben, dem muß klar sein, dass das ein Weg ohne Wiederkehr ist.
Wer sich einmal ausklinkt, hat es wahnsinnig schwer wieder aufgenommen zu werden.

Warum: Weil es genug Bewerber gibt, die einen Mainstream-Lebenslauf haben.
Ich als Chef will den Mainstream. Das kenne ich, das kann ich abschätzen.
Jeder vernünftige Chef wird Leute einstellen, die ihm sympathisch sind. Schließlich verbringt er den größten Teil seiner wachen Zeit mit ihnen. Sympathisch bedeutet immer: "Ist mir ähnlich".
Warum soll er einen Exoten einstellen, den er nicht einschätzen kann. Und kommen Sie mir nicht mit den Sonntagsreden von der Diversity. Ich brauch keine Kulturbereicherer und Querdenker, sondern Leute, die was wegschaffen. Sie wissen schon, die Geschäftsführung mit ihren irren Kennzahlen…

So schnell wird sich das auch nicht ändern. Warum ich so sicher bin? Na, weil wir, die geburtenstarken Jahrgänge jetzt die Geschäftsführer, Bereichsleiter und Vorstände stellen.
Wir sind offline aufgewachsen. Unsere Väter haben das Geld verdient und unsere Mütter waren zu Hause oder haben etwas dazu verdient. Und wir werden mit jedem Jahr konservativer. Da wir die meisten sind, sind wir die Bestimmer.

Wer sind wir?

In Deutschland werden die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen von Statistikern als geburtenstarke Jahrgänge bezeichnet. Die Geburtenzahlen erreichten im Jahr 1964 ihren Höhepunkt mit 1.357.304 Lebendgeborenen. 22% - mehr als ein Fünftel - der Bevölkerung fallen in dieses Segment."

Bevölkerungspyramide Deutschland vom Statistischen Bundesamt Quelle

Und das bedeutet?

  1. Die Babyboomer sitzen an den Schaltstellen der Macht oder fangen an diese zu besetzen. Frau Merkel ist knapp keine Babyboomerin mehr. Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz wurde am 1. März 1965 geboren. Schauen Sie sich mal das Kabinett oder die Liste der DAX-Vorstände an.
  2. Mächtig oder nicht mächtig: Die Babyboomer geben schon durch ihre schiere Masse den Ton an. Das wird für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre so bleiben.

Fazit

Jetzt wird es dann mal Zeit für die Moralkeule: Ist es moralisch gerechtfertigt, sich zum Discountpreis ins System einzuhacken und sich von den Normalos die Krankenkasse subventionieren zu lassen?

Mal abgesehen davon

  • Will ich mich wirklich so konsequent aus dem klassischen System des Angestelltendaseins verabschieden?
  • Geht mein Partner diesen Weg mit?
  • Habe ich überhaupt noch Freiheitsgrade oder habe ich mich nicht schon vollkommen im System verheddert?
  • Bin ich bereit die Härten dieses Weges auf mich zu nehmen. Der Hauptnachteil dieser Strategie: Sie ist so extrem individuell. Die Puzzlesteinchen sind alle bekannt, aber es gibt keine Blaupause, die mir sagt, wie ich sie zusammensetzen muss. Besonders blöd: Keine Garantie, dass auch alle Puzzlesteinchen auf dem Tisch liegen. Ein 1.000-Teile-Puzzle, bei dem nach 999 Teilen Schluss ist - das nenn’ ich mal frustrierend.

Was tun?

Keine Ahnung, vielleicht den Lindenberg zitieren?

"Hinterm Horizont geht’s weiter."

Zum Weiterlesen

Erklärt seit 30 Jahren, wie das System funktioniert: Die Karriereberatung von Heiko Mell in den VDI Nachrichten.
Besonders empfehlenswert: Die Ausgabe 465 mit dem Titel "Berufswegplanung Achtung: Teufelskreis".

Hier die Geschichte, wie man als ungelernte Kraft mit der wenig prestigeträchtigen Arbeit des Treppenhauswischens einen Stundenlohn von 154 Euro erzielt.


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