Leserin N. fragt
Mein Mann und ich haben ein paar Jahre in London gelebt und dort ganz gut verdient. Wir haben etwa 70.000 britische Pfund bei einer englischen Bank.
Was mir jetzt Magenschmerzen bereitet, ist der Absturz des Pfunds nach der Volksbefragung zum Brexit.
- Vor einem Jahr: 1 Pfund = ca. 1,40 Euro
- Nach der Brexit-Volksbefragung im Juni 2016: 1 Pfund = ca 1,16 Euro
- Vorletzte Woche, nachdem die Premierministerin den "harten Brexit" für März 2017 angekündigt hat: 1 Pfund = 1,12 Euro.
- März 2017, offizieller EU-Austritt beginnt: Tja …! Ich nehme einfach mal an, dass das Pfund dann noch weiter nach unten rauscht und auch eine Zeitlang unten bleiben wird. Was genau passieren wird, weiß natürlich keiner.
- Wir benötigen das Geld im Moment nicht – weder Haus-, Auto- noch Yachtkauf steht in den nächsten Jahren auf dem Programm.
Was würdest Du raten?
- Das Geld nach Deutschland holen und hier irgendwie sinnvoll anlegen?
- Stoisch bleiben und die Währungstalfahrt aussitzen?
- Oder vielleicht einfach das Geld in GB neu anlegen? Möglicherweise wird es dann mit der Steuer etwas kompliziert.
Der Finanzwesir antwortet
Lassen Sie uns erst einmal Abstand gewinnen und nicht den konkreten Fall betrachten.
Der Devisenmarkt (Forex) ist der größte Finanzmarkt. Täglich übersteigen die Umsätze 5.000 Milliarden US-Doller.
Abgebildet wird der Durchschnittswert der täglichen Devisenumsätze für den April des jeweiligen Jahres.
Vergleichen wir die nun den Devisen- mit dem Aktienmarkt
"Die World Federation of Exchanges (WFE) ist der weltweit größte Börsenverband. Im Jahr 2012 belief sich das Volumen der weltweit an den WFE-Mitgliedsbörsen gehandelten Aktien auf knapp 83 Billionen US-Dollar."
Quelle: Statista
Factfisch beziffert den Gesamtwert aller 2015 gehandelter Aktien auf 99.759.985.450.000 US$
Das ist plausibel, 2012 83 Billionen, 2015 dann knapp 100 Billionen.
1 Billion sind 1.000 Milliarden. Die Forex hat rund 250 Handelstage. Das bedeutet:
- 2010 hat die Forex jährlich rund 992 Billionen US$ umgesetzt
- 2016 hat die Forex jährlich rund 1.272 Billionen US$ umgesetzt
Fazit
- Der Devisenmarkt ist rund zwölf mal so groß wie der Aktienmarkt.
- Der Devisenmarkt ist kaum reguliert.
- Der Devisenmarkt ist ein Spielball der Politik und wird von den Großbanken kräftig manipuliert. Der Devisenhandel-Skandal von 2013 hat zu weltweiten Ermittlungen von Finanzmarktaufsichtsbehörden sowie zu internen Ermittlungen zahlreicher Großbanken geführt. Das Ende vom Lied: Britische und US-amerikanische Behörden verhängten im November 2014 Strafzahlungen von insgesamt 4,3 Milliarden US-Dollar über Bank of America, Citigroup, HSBC, JPMorgan Chase, Royal Bank of Scotland und die UBS.
Was bedeutet das für uns als Privatanleger?
Wir brauchen gar nicht erst anfangen mit irgendwelchen Prognosen. In diesem hochliquiden Markt wirken Kräfte, die wir weder benennen, geschweige denn einschätzen können.
Magenschmerzen bringen nichts. Nehmen Sie Währungsschwankungen hin wie schlechtes Wetter.
Das britisches im Laufe der Zeiten
Quelle: Onvista
- Höchstkurs im Oktober 2000 bei 1,705 Euro pro Pfund
- Tiefstkurs im Dezember 2008 bei 1,044 Euro pro Pfund
- Aktuell 1,1242 Euro pro Pfund. 70.000 Pfund entsprechen damit 78.694 Euro.
Was tun?
- Die heuristischen Psychodämonen besiegen
- Strategie: Alle Argumente auflisten und bewerten
Psychodämonen
Ein klarer Fall von Ankerheuristik: Für Leserin N. sind 1,40 Euro pro Pfund der Anker. Alles über 1,40 Euro ist ein "Gewinn", alles darunter ein "Verlust".Diese Zahl ist reiner Zufall. Hätte N. um die Jahrtausendwende in London gelebt, wäre Ihr Anker 1,60 oder gar 1,70 Euro pro Pfund gewesen und 1,40 Euro wären ein Verlust von rund 15 %.
Hätte N. ihren Anker Weihnachten 2008 geworfen, würde Sie sich jetzt über gut 10% Gewinn freuen.
Was bedeuten diese Schwankungen konkret für das Vermögen (Bezugspunkt ist die aktuelle Summe von 78.694 Euro)
Wechselkursverhältnis | Summe | Verlust/Gewinn | Anteil |
---|---|---|---|
1:1 (histor. Tiefstwert) | 70.000 € | - 8.694 € | -11,05 % |
1,4:1 (Anker) | 98.000 € | + 19.306 € | +24,53 % |
Jetzt kommt die Prospect Theory ins Spiel.
Kurz zusammengefasst: Ein Sieg (der Wechselkurs marschiert in Richtung 1,4:1 - wo er auch hingehört ergänzt die Ankerheuristik) wird als weit schöner empfunden, als ein weiterer Verlust (das Kursverhältnis nähert sich der 1:1 an) schmerzt.
Die erwartete Freude ist größer als der erwarte Schmerz. Unser Gehirn tendiert deshalb zum Behalten und Schönreden: "Der Kurs kommt schon wieder".
Überlagert wird das Ganze aber von der Furcht, der Kurs könne doch fallen. Mit diesem Brexit ist nicht zu spaßen!
So wohnen dann zwei Seelen, ach! in unserer Brust.
Diese Psychospielchen dürfen Sie nicht im Unterbewussten vor sich hin gären lassen. Die gehören ans Tageslicht. Nur so können Sie die Dinger unter Kontrolle bringen.
Strategie
Lebensstil-Entscheidungen
- Wo soll der Schwerpunkt unseres Lebens sein?
- Gehen wir nicht doch wieder zurück nach Großbritannien?
- Werden wir oft und ausgiebig Urlaub dort machen?
- Mit anderen Worten: Wie hoch ist unser jährlicher Pfundbedarf?
Was ist im Alter: Zurück auf die Insel oder doch lieber Deutschland?
Finanzplanung und Altersvorsorge
Auf welchen Säulen soll die Altersvorsorge stehen (staatliche Rente, Betriebsrente, Riester, eigenes Depot)?
Aktuell sind die Pfund Sterling als Tagesgeld angelegt. Wäre es möglich, damit an die Börse zu gehen und so einen Teil des risikobehafteten Vermögensanteils in britischen Pfund zu halten?
Ist das mit der eigenen Risikotoleranz und Risikotragfähigkeit überhaupt machbar?
Steuerthemen
Wie besteuern die Briten eigentlich ausländische Vermögen?
Bringt es steuerliche Vorteile einen Teil seines Geldes in London anzulegen?
Oder macht das nur Stress, weil die britischen Banken nicht so abrechnen, wie es es das deutsche Finanzamt will?
Ein ausländisches Konto zu haben ist sicherlich nicht mehr so exotisch, wie noch vor 20 Jahren, aber dennoch nicht die Norm. Was nicht normal ist, ist verdächtig, besonders dem deutschen Finanzamt. Kann das Finanzamt mit dieser Situation umgehen oder wird man gleich in die Schublade "potentieller Steuerhinterzieher" einsortiert?
Welche Vorteile habe ich, welche operativen Nachteile muss ich in Kauf nehmen?
Politische Erwägungen
Wie geht das mit dem Euro weiter? Ist es sinnvoll in eine zweite Währung zu diversifizieren.
Was passiert, wenn die Briten die Steuerfreiheit für Ausländer kassieren?
N. und ihr Mann müssen klären: Soll das Pfund eine strategisch wichtige Säule unserer Altersvorsorge werden oder ist das eher ein Nebenkriegsschauplatz?
Die Entscheidung, was mit den 70.000 Pfund passieren soll, kann erst gefällt werden, wenn klar ist, welchen Platz diese Summe im gesamten Vermögenskonzept hat.
Leserin N. schreibt
"Wir benötigen das Geld im Moment nicht – weder Haus-, Auto- noch Yachtkauf steht in den nächsten Jahren auf dem Programm."
Das ist der zentrale Punkt: Was bedeutet "in den nächsten Jahren"? Sind das 5 Jahre, 10 Jahre oder 20 Jahre. Auch für die Londner Stock Exchange gilt: Kein Investment unter 10 Jahren.
N. und ihr Mann jonglieren mit diesen 4 Bällen
- Wünsche an den eigenen Lebensstil
- Strategische Ausrichtung des Gesamtvermögens zwecks Altersvorsorge
- Steuerthemen
- politische Themen
Es hilft hier, Szenarien zu bilden und in Wahrscheinlichkeiten zu denken. Ein Beispiel:
- Wie wahrscheinlich ist es, dass wir nach Großbritannien zurückkehren?
- Was ist das Schlimmste, was in diesem Szenario passieren kann?
- Was würde uns dieser schlimmste Fall kosten?
Eine ideale Beschäftigung für die kommenden dunklen Tage.
Vielleicht kommen die beiden ja sogar zu dem Schluss, dass es klug ist noch mehr Euros in Pfund zu tauschen. Wenn man ein Thema offen, ideologiefrei und als Advocatus Diaboli untersucht, kommt man manchmal zu erstaunlichen Ergebnissen.
Ganz konkret: Was würdest Du raten?
"Das Geld nach Deutschland holen und hier irgendwie sinnvoll anlegen?"
"Irgendwie" und "sinnvoll" in einem Satz. Wie geht das zusammen? Bevor nicht klar ist, was das Geld hier soll, würde ich es nicht über den Kanal holen.
"Stoisch bleiben und die Währungstalfahrt aussitzen?"
- Wieso Talfahrt? Der Kurs ist deutlich höher als 2008.
- Ab wann wäre denn der Kurs genehm? Was passiert dann? Wie wollen Sie sicherstellen, dass das dann auch passiert? Schauen Sie jede Woche oder jeden Monat auf den Wechselkurs oder lässt sich das automatisieren?
"Oder vielleicht einfach das Geld in GB neu anlegen? Möglicherweise wird es dann mit der Steuer etwas kompliziert."
Warum nicht. Dafür müssen aber die Vor- und Nachteile gründlich abgewogen werden. Wie hoch sind die Opportunitätskosten, die sich hinter dem "…Steuer etwas kompliziert" verbergen?
Was nützt es mir, wenn das Pfund-Depot umgerechnet 200 Euro mehr bringt, ich dem Steuerberater aber 300 Euro zahlen muss, damit er das Verhau der britischen Banken so aufbereitet, dass das deutsche Finanzamt es akzeptiert? Akzeptiert das Finanzamt überhaupt englischsprachige Belege oder muss ich die übersetzen und beglaubigen lassen?
Meine persönliche Meinung: Ich wäre bereit auf Rendite zu verzichten, wenn ich dafür die Komplexität reduzieren kann.
Komplexität ist wie eine schiefe Bahn. Erst merkt man kaum, das man abrutscht. Dann ist es zu spät und man rutscht ungebremst in die Nesseln.
Fazit
Die Fundamentalentscheidung vor der N. und ihr Mann stehen:
- Maximiere ich die Rendite oder
- lass’ ich alle Fünf gerade sein und optimiere auf Lebensglück?
Dazu brauchen Leserin N. und ihr Mann das, was Altmeister Kostolany als "Gedanken" bezeichnet hat.
Ein robuster Plan muss her. Robust bedeutet: Man verliert nicht viel, wenn es nicht gut läuft, aber man gewinnt eine Menge, wenn es gut geht.
Im Rahmen dieses Plans kann man dann auch darüber sprechen, ob 70.000 Pfund in Euro getauscht werden oder nicht.
Die Tauschfrage isoliert zu betrachten ist wenig sinnvoll. Deshalb kann ich auch keinen konkreten Rat geben.
Der einzige Rat, den ich geben kann ist: Haben Sie "Gedanken" - denken Sie groß und unkonventionell.