Leser J. schreibt
Ich lese seit einiger Zeit aufmerksam Deine Artikel, die mich bewegt haben von der aktiven (wurde bisher von einem unabhängigem Finanzberater betreut) auf die passive Seite (nun DIY-Anleger mit ETFs) zu wechseln. Meinen aktiver Bestand habe ich aber behalten und ich habe auch weiterhin Kontakt zu meinem Finanzberater.
Dieser wechselt nun die Branche und hat mich zu einer Kundenveranstaltung eingeladen. Es handelt sich um Lyconet (der Vertriebsarm der Lyoness Group AG), einer weltweiten Shopping Community welche die sogenannte Cashback Card einsetzt. Diese ähnelt einem Sytem wie "Payback" oder "Deutschland Card", nur dass man eben keine Prämien sammelt, sondern Geld auf sein Konto überwiesen bekommt.
Nun hat mein Finanzberater (jetzt bei Lyconet) folgendes Angebot gemacht: Für den Einstieg als "Premium Marketer" müsste ich rund 2.500 Euro für Lizenzgebühren zahlen, davon könnten 2.450 Euro über eigene Einkäufe (über Gutscheine) wieder zurückgeführt werden, also effektiv nur 50 Euro Kosten.
Darüber hinaus wäre ich dann berechtigt "Customer Clouds" (CC) zu erwerben.
Diese werden regionenweise ausgegeben und sind in der Stückzahl limitiert. Kostenpunkt jeweils 1.500,00 Euro. Mir wurde eine CC für Skandinavien angeboten. Eine CC beinhaltet die durchschnittlichen Konsumausgaben von circa 250 Verbrauchern auf deren Konsum ich dann wiederum eine Provision erhalte (und sogennante Shopping Points. Auch Italien geht bald auf den Markt. Hier wurde gerade das 10.000ste Unternehmen gewonnen (Quelle Website Lyoness).
Ich vertraue meinem Finanzberater, habe gute Ergebnisse erzielt bisher (auch wenn es der aktive Bereich war): Nun meint er, dass dieses Projekt das größte aller Zeiten sei und eine einmalige Chance.
Nur habe ich meine Zweifel, da ich diese Cashback Card bislang überhaupt nicht kannte und diese in Deutschland bisher nicht populär zu sein scheint, aber das soll sich ja wohl bald ändern (so seine Aussage). In anderen Ländern (insbesondere Österreich) wird diese auch schon im gängigen Einzelhandel akzeptiert (und wirklich jeder Mensch kauft Lebensmittel!)
Der Finanzwesir antwortet
Wenden wir an, was wir im Deutschunterricht bei der Textinterpretation gelernt haben.
Handelnde Personen
- Leser J., der schon mögen tät, sich aber doch nicht so ganz traut.
- Ein unabhängiger Finanzberater, der aktive Finanzprodukte verkauft hat und nun die Branche wechselt und dort im Vertrieb arbeitet. Ob als Angestellter oder auf Provisionsbasis ist nicht klar.
Was ebenfalls nicht klar ist: Wie unabhängig war die Unabhängigkeit dieses Mannes tatsächlich? Für mich bedeutet "unabhängig": Ich werde vom Kunden, also von J. bezahlt und agiere in seinem Namen und zu seinem Nutzen. Egal wie sie genannt werden: Die Vergütung aktiver Produkte läuft über Verkaufsprovisionen, Kickbacks, Bestandsprovisionen…
Das "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing" ist eine Sache zwischen Produktanbieter und Vermittler. Der Kunde kommt in dieser Gleichung höchstens als Opfer vor.
Geschäftsmodell
Rabattkarte. Das klassische "Shop Dich reich". Und aktiv; J. soll als "Premium Marketer" einsteigen.
Ziel ist es, möglichst viele Minions anzuheuern und den Car Bonus zu ergattern. Wie wir sehen ist J.s Berater gerade eifrig dabei seinen ersten Minion zu rekrutieren.
Eine Armee von Minions und man wird President
3 Bilder sagen mehr als 1.000 Worte
Aus dem Mediakit des Lyconet Elite Seminars
Unabhängig von der Sinnhaftigkeit des Geschäftsmodells stellt sich einige Fragen:
- Passt das in J.s Leben? Hat er noch Zeit für einen zweiten aktiven Job?
- Ist er eine Rampensau vor dem Herrn? Rekrutiert er gerne Minions? Macht ihm der Job Spaß? Wünscht er sich nichts sehnlicher als ein "Certifikate of success"?
Was würden Profis tun?
Bevor Profis in ein Geschäft einsteigen, checken Sie Papierkram und Praxis.
Papierkram
- Wie sind die Verträge strukturiert?
- Basiert das Geschäftsmodell auf realistischen Zahlen?
- Ist das Business ein Strohfeuer oder können die Umsätze dauerhaft generiert werden? Hier bitte als Begründung nicht den Allgemeinplatz: Einkaufen tun die Leute immer.
- Welches maximale Umsatzvolumen kann J. generieren?
- Was weiß ich nicht noch alles….
Praxis
Hält sich die Praxis denn auch an die theoretischen Excelberechnungen? Um das herauszufinden, muss J. die Lage vor Ort checken.
Die US-Geheimdienste haben es auf die harte Tour gelernt. Nur Drohne und Abhören reicht nicht aus. Man muss auch Leute vor Ort haben.
Auch Hedge-Fonds-Manager kaufen sich gerne ein Flugticket. So geschehen 1997, als sich der Tiger-Fonds von Julian Robertson gegen den thailändischen Baht positionierte.
Natürlich haben die Jungs den Papierkram studiert, aber sie sind auch nach Bangkok geflogen und haben sich einfach mal umgesehen. Wie läuft es denn so auf den Großbaustellen? Drehen sich die Kräne oder steht viel still? Wie ist die Stimmung in den Straßen? Erst nach diesem Reality-Check haben Sie gegen den Baht gewettet und gewonnen.
Genau diese Due Diligence ist jetzt J.s Job. Man bietet ihm eine skandinavische Consumer Clound an? Dann heißt es
- einen Flug nach Stockholm buchen
- Position an der Supermarktkasse beziehen.
Was sagt die Strichliste: Wie viele Schweden kaufen per Cashback Card ein? Für welche Summen? Ist jede zweite Plakatwand mit Cashback-Werbung zugepflastert? Wirbt Miss Schweden für Cashback?
Dann die Wasserfallberechnung:
- Wie viele Shopping-Punkte werden dadurch generiert?
- Wie viele versickern in der Organisation?
- Strom oder Rinnsal - was kommt noch noch bei J. an?
"Für den Einstieg als "Premium Marketer" müsste ich rund 2.500 Euro für Lizenzgebühren zahlen, davon könnten 2.450 Euro über eigene Einkäufe (über Gutscheine) wieder zurückgeführt werden, also effektiv nur 50 EUR Kosten."
Opportunitätskosten?!
- J. könnte das Geld auch auf ein Tagesgeldkonto packen und hätte dann Ende des Jahres sichere 2.515 Euro auf dem Konto (0,6% Zinsen)
- Oder J. steckt es in einen ETF auf den MSCI World und hat dann zwischen 1.250 € (Börsencrash) und 3.000 € (plus 20%) auf dem Konto.
Was die effektiven 50 € angeht: Kann ich die 2.450 € wirklich für Sachen ausgeben, die ich sowieso brauche oder gibt es da doch Haken und Ösen? Womöglich muss ich 2.450 € in Punkten erwirtschaften. Bei Payback bedeutet das: Ich muss einen Umsatz generieren, der zwischen 24.500 und 50.000 € liegt. Keine Ahnung, ob das bei Cashback genauso ist.
"Darüber hinaus wäre ich dann berechtigt "Customer Clouds" (CC) zu erwerben."
Erinnert sich noch jemand an den berüchtigten Tom Sawyer und wie er es geschafft hat, seinen Kumpels die Berechtigung zu verkaufen den Zaun seiner Tante zu streichen?
Der älteste Trick der Welt. Sag jemandem: "Das kriegst Du nicht" und er wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen um es doch zu bekommen. Oder wie meine Oma immer sagte: "Willst was gelten, mach Dich selten."
"Nun meint er, dass dieses Projekt das größte aller Zeiten sei und eine einmalige Chance."
Wer die Bilder oben gesehen hat, wird dem schwer widersprechen können. Nur wenige Dinge in diesem Universum sind bedeutender als eine Mehrzweckhalle voller schlipsloser Männer in Anzügen und heißer Gridgirls.
"Ich vertraue meinem Finanzberater, habe gute Ergebnisse erzielt bisher"
Das Problem mit solchen Aussagen: Es gibt keine Messlatte und wenn doch ist es die falsche.
- Keine Meßlatte: "Mein Berater hat mir 5% gebracht." Schön, aber was hätte der MSCI World oder ein Haus in München in der gleichen Zeit gebracht? Wenn es an gut läuft, hebt die Tide alle Schiffe.
- Die falsche Meßlatte: "Immerhin mehr als Tagesgeld." Tages- und Festgeld sind für viele Anleger das Maß aller Dinge. Wenn eine Anlageform mehr Rendite bringt, wird das der Genialität des Beraters zugeschrieben. Dabei hat der bloß einen ordentlichen Schuss Risiko in die Mischung gegeben.
Zum Schluss noch die zwei Killerfragen:
1. Cui Bono?
Wem nützt das Ganze? Wer profitiert? Und damit ganz eng verknüpft
2. Warum gerade ich?
Diese Frage ist nicht gut fürs Ego muss aber gestellt werden: Wieso darf gerade ich mitmachen? Was habe ich, das andere nicht haben? Wer diese Frage ehrlich beantwortet, wird feststellen: Ich habe weder besonders viel Geld, keine besonderen Fähigkeiten und auch keine exklusiven Kontakte. Es gibt keinen Grund gerade mich mitmachen zu lassen. Jeder ist gut genug. Also sind Sie austauschbare Masse. Keine gute Position.
Warum walze ich das hier so aus, obwohl man die ganze Sache - wie wir gleich sehen werden - in einem Absatz erschlagen kann?
Weil das immer wieder das gleiche Schema ist, egal ob es die Lykaner sind wie in diesem Beispiel oder ob sich die Burschen Magnum Partners, Millenium Affiliates oder sonst wie nennen. Es wird immer die gleiche Platte aufgelegt: Wir haben die Abkürzung zum Reichtum gefunden und Du darfst mitmachen.
Ich als Churchill unter den Finanzbloggern sage Euch: Diese Abkürzung existiert nicht. Der Weg zum Reichtum ist mit Blut, Schweiß und Tränen getränkt.
Der Plattmach-Absatz
Wer keine Lust auf der Metageschwafel des Finanzwesirs hat, kann die Sache auch schneller zu Ende bringen. Einfach in die Suchmaschine des Vertrauens
"Lyoness Probleme" oder "Lyconet Erfahrungen" eingeben.
Wer ganz wenig Zeit hat, wählt die direkte Exekution und tippt "Lyconet Betrug verurteilt" ein oder sucht nach "Rechtsanwalt Lyoness Geschädigte".
Fazit
Meine Empfehlung an Leser J.
- "Definition Berater googeln und dann darüber nachdenken, ob die Leistung der Person, die er als Berater bezeichnet von dieser Definition korrekt beschrieben wird.
- Darüber nachdenken, was der Satz bedeutet: Wenn etwas zu schön ist um wahr zu sein, dann ist es auch meist nicht wahr. Ich bezahle 1.500 Euro für die Schweden-Cloud. Die Wikinger shoppen sich in Extase und bei mir fluten die Kronen nur so rein. Ehrlich jetzt?