Leser C. schreibt
Haus kaufen und Depot aufrecht erhalten.
Wir, 35 und 36, drei Kinder (1, 1 und 2) wollen ein Haus kaufen. Der Kaufpreis beträgt circa 400.000 Euro, die Komplettkosten werden bei rund 480.000 Euro liegen.
Unser Depot (sehr nah am Kommer-Weltportfolio, etwas mehr auf Small Caps ausgerichtet, keine REITS, keine Rohstoffe) beläuft sich aktuell auf circa 470.000 Euro.
Meine langfristige Renditeveränderung für das Depot sind rund 7% p.a.. Nun wird immer wieder von Ihnen aber auch im Kommer gesagt, Schulden abbauen / vermeiden seine das beste. Gilt das auch in unser Situation?
Aktuell ist mein Plan (Angebot liegt vor) mit 20% (80.000 €) Eigenkapital zu finanzieren. Bei einer Tilgung von 1% käme ich dabei auf 1,4% Zinsen. Meine Startschuld läge bei 307.000 Euro, mein Depotwert fällt nach Abzug von 53.000 Euro für Makler, Notar, Finanzamt und 40.000 Euro für Ausbau, Renovierung, Möbel und Sicherheitsreserven auf 297.000 Euro. Ich meine, jeder Euro mehr ins Eigenkapital ist ein zu 1,4% angelegter Euro im Gegensatz zu den erwarteten 7% im Depot. Das kann doch nicht richtig sein? Sollten die Zinsen in den nächsten 10 Jahren (unsere Zinsbindung) deutlich steigen, kann ich den Eigenanteil dann ja noch immer erhöhen…
Habe ich hier einen Denkfehler? Mir ist klar, dass meine Situation nicht dem Durchschnitt entspricht.
Der Finanzwesir antwortet
Was haben wir?
- Einen merkantilen Komplettausfall. Zwillinge, die gerade Laufen gelernt haben - da weiß man ja nicht welche Schublade man zuerst sichern soll. Zwillinge haben immer einen Partner in Crime und sind deshalb besonders unternehmungslustig. Als Bonus noch eine Zweijährige oben drauf. Da weiß man, was man getan hat, wenn man abends in den Fernsehsessel sinkt. Das wird auch noch bis 2022 so bleiben. Dann gehen die Zwillinge in die erste Klasse und C.s Frau kann über einen Halbzeitjob nachdenken. Bis auf weiteres ist C. der Familienernährer. Das ist jetzt eine wüste Spekulation von mir. Vielleicht sind die Kinder auch in der Ganztagsbetreuung und beide arbeiten voll. Das ändert aber an der folgenden Argumentation nichts.
- Die Möglichkeit das Haus komplett zu bezahlen.
- Zinsen wie aus der Werbung. Die bekommt man nämlich nur, wenn man wie C. die Hütte einfach bar bezahlen kann.
- 1% Tilgung. C. hat sich dafür entschieden seine Schulden bis in alle Ewigkeit zu behalten. Von der Site der Interhyp:"Wenn Sie heute zum Beispiel 35 Jahre alt sind und mit 65 in den Ruhestand gehen möchten, sollten Sie bei einem Zinsniveau von 1,3 Prozent einen Tilgungssatz von ca. drei Prozent p.a. wählen". Passt ziemlich gut auf C., nur mit dem Unterschied, dass er nicht 3% tilgt, sondern 1%. Mit anderen Worten: Diesen schicken Kredit kann er an seine Enkelchen vererben. Ich habe die Eckdaten in den Interhyp-Tilgungrechner eingegeben und habe als Antwort bekommen: Gesamtlaufzeit 62 Jahre und 8 Monate.
- Small Caps macht mal! C. erwartet von seinem Depot, dass es 7% pro Jahr ausspuckt.
Ein Wort noch zur Tilgung:
Je niedriger der Zins, desto höher sollte die Tilgung sein
Wichtig bei der Wahl der Tilgungshöhe: Je niedriger die Zinsen, desto länger benötigen Sie mit einer bestimmten anfänglichen Tilgung, um das Darlehen zurückzuzahlen.
So benötigt man bei einem Zinsniveau von 5 Prozent und einer anfänglichen Tilgung von 2 Prozent ca. 25 Jahre, um ein Darlehen zurückzuzahlen. Bei einem Zinsniveau von 3 Prozent benötigt man beim gleichen Tilgungssatz etwa 30 Jahre und beim Zinssatz von 1,3 Prozent schon fast 40 Jahre.
Warum ist das so?
Die Begründung dafür liegt in der konstanten Kreditrate zur Begleichung Ihres Annuitäten-Darlehens, die sich aus Zins und Tilgung zusammensetzt.
Durch die regelmäßige Tilgung Ihres Darlehens nimmt die Restschuld während der Laufzeit immer mehr ab. Dadurch verringert sich der Zinsanteil der Rate.
Da die Rate insgesamt aber konstant bleibt, steigt der Tilgungsanteil durch den ersparten Zinsanteil kontinuierlich an.
Bei niedrigen Zinsen reduziert sich der Zinsanteil langsamer – und dadurch steigt auch der Tilgungsanteil langsamer als bei höheren Zinsen. Die logische Konsequenz: Sie benötigen bei gleicher anfänglicher Tilgung länger, um das Darlehen zurückzuzahlen.
Leser C. schreibt
"Habe ich hier einen Denkfehler?"
Auf jeden Fall. Der erste zeigt sich in den Sätzen:
"Gilt das auch in unser Situation? Mir ist klar, dass meine Situation nicht dem Durchschnitt entspricht."
Auch wenn’s am Ego kratzt: Diese Einstellung ist immer gefährlich. Ich bin anders, für mich macht die Schwerkraft eine Ausnahme führt meistens ins Desaster. An der Börse war zu Dotcom-Zeiten auch alles anders. Die Analysten haben ausführlich begründet, warum der Businessplan ganz Amerika mit Hundefutter zu beliefern nicht nur börsenfähig ist, sondern auch eine höhere Bewertung verdient als ein altgedienter Konzern wie Nestle.
2008, 2009 in der Subprime-Krise das Gleiche: Natürlich kann sich eine Stripperin soviel erstrippen, dass sie die Hypotheken für fünf Häuser abbezahlen kann. Kann sie nicht.
Die Schwerkraft siegt immer. Eine junge Familie, die sich ein Haus kaufen will, ist so ungewöhnlich nicht. Der Kaufpreis auch nicht. Einzig die Tatsache, dass es C. und seine Frau aus eigener Kraft schaffen können ist einen Applaus wert.
Mehr aber auch nicht, denn egal ob das Geld erspart oder zum Teil von den Eltern kommt - das Grundproblem bleibt.
Warum nehmen die meisten Leute einen Hauskredit auf?
Weil es nicht anders geht. Sie haben schlicht nicht die Wahl zwischen Barkauf und Kreditkauf. Sie müssen Schulden machen und die damit einhergehende Fragilität akzeptieren.
C. und seine Frau müssen das nicht. Sie haben die Wahl. Obwohl, eigentlich hat C. keine Wahl. Für einen verantwortungsbewussten Familienernährer gibt es nur einen Weg: Das frisch renovierte Haus darf nicht mehr kosten als das Depot wert ist und auch die letzte Handwerkerrechnung wird in bar bezahlt. Dann kann C. beruhigt sterben oder ins Koma fallen. Oder seine Frau bekommt Krebs und er steht mit den drei Gören da.
Es geht nicht um die Rendite, sondern darum existentielle Risiken auszuschalten.
"Sollten die Zinsen in den nächsten 10 Jahren (unsere Zinsbindung) deutlich steigen, kann ich den Eigenanteil dann ja noch immer erhöhen…"
Wie soll das gehen? Deutlich steigende Zinsen waren schon immer Gift für die Aktienkurse. Die Rechnung 7% Börsenrendite minus 1,4% Zinskosten ist in höchstem Maße unvernünftig und gierig. Die 7% sind langfristige Statistik. Aber die Märkte können länger irrational bleiben als man selbst liquide.
Die von C. angestrebten Ewigkeitsabzahlung ist eine Wette auf die Vertragstreue der Bank. Warum sollen die Banken in 10 bis 15 Jahren nicht das gleiche Spiel spielen wie die Bausparkassen heute? Dann ist C. auf einmal einer mit einem lästigen "Altvertrag".
"Unser Depot (sehr nah am Kommer-Weltportfolio, etwas mehr auf Small Caps ausgerichtet)"
Diese Grafik zeigt, wie munter die Small Caps durch die Gegend schwanken. Von -37,6% bis 41% ist alles dabei. Herr Kommer versucht in seinem Portfolioansatz noch "einen Schnaps mehr zu verdienen" indem er sich den Faktoren Value und Size aussetzt. Absolut legitim. Aber meiner Meinung nach nicht der Weg, den ein veranwortungsbewußter Familienvater gehen sollte.
Jetzt, hier und heute besteht die Möglichkeit ein Aktiendepot gegen ein Haus einzutauschen. Ob das in fünf oder zehn Jahren noch der Fall sein wird weiß keiner.
Wie sieht die Zukunft der Familie aus?
- 2022: Alle Kinder in der Grundschule
- 2026: Alle Kinder in der weiterführenden Schule
- 2033: Das erstgeborene Kind wird 18
- 2034: Die Zwillinge werden erwachsen
- ab 2035: Auszug der Gladiatoren, C. und Frau werden langsam ein altes Ehepaar.
Wenn C. oder seine Frau vor 2022 ausfallen, dann steht der andere mit 3 kleinen Kindern da. Stress genug. Dann soll wenigstens das Dach über dem Kopf keine Sorgen machen.
Szenario 1
C. stirbt. C.s trauernde Frau muss den Lebensunterhalt der Familie bestreiten. Nicht einfach mit Grundschulkindern, sehr schwer mit Kindergartenkindern. Lösungsmöglichkeit: C.s Leben wird versichert. Die Risikolebensversicherung zahlt bei seinem Tod. Saubere Sache, aber was wenn…
Szenario 2
eintritt. C. stirbt nicht, sondern wird nur so schwer verletzt, dass er den Rest seines Lebens als "Gemüse" verbringt. C.s Frau muss sich nicht nur um drei Kindern kümmern, sondern auch noch um den Mann. Die Versicherung zahlt nicht, denn tot ist er ja nicht. Gibt es überhaupt eine Versicherung die das abdeckt?
Szenario 3
C. putzmunter, Frau tot. Was tun? C. runter auf Teilzeit und hoffentlich war auch das Leben der Frau risikoversichert.
Szenario 4
Siehe Szenario 2. Vorzeichen umgedreht, aber ansonsten genauso gruselig.
Szenario 1 - 4
In jedem Fall eine große Erleichterung: Egal wie die Börse steht - das Haus gehört uns. Hier können wir bleiben.
Aber das sind doch alles Horrorszenarien
Korrekt. Typischer "schwarzer Schwan". Eintrittswahrscheinlichkeit nur Null Komma irgendwas Prozent, aber ein echter Wirkungstreffer. Hier geht es nicht um Rendite, sondern um eine ruhige Nachtruhe und die Gewissheit alles getan zu haben was nötig ist, um die Familie zu schützen.
Dazu kommt: Schulden verändern den Menschen. Die einen mehr, die anderen weniger. Aber wer nicht vollkommen abgebrüht ist, hört im Hinterkopf immer ganz leise die Schuldenuhr ticken. Auch wenn Excel sagt: "Alles ok".
Vielleicht nur ein "Psycho-Grund". Emotional und unter Ingenieuren nicht wirklich ernstzunehmen - aber ich bin mittlerweile der Meinung, dass gerade diese "weichen Psycho-Gründe" das Wohlbefinden mehr beeinflussen als uns lieb ist.
Auch deshalb rate ich zur Barzahlung. Das entkoppelt Börse und Immobilie. Und wieder ein Punkt weniger auf der langen lästigen Liste.
Fazit
Grundsätzlich ist es richtig, dass C. und seine Frau jetzt ein Haus kaufen wollen. Wenn die Kinder jung sind, braucht man ein eigenes Haus. Ab 2030 könne beide schon wieder über den Verkauf des Hauses nachdenken, denn dann donnern die Kids nicht mehr mit dem Bobbycar übers Parkett, sondern chillen lautlos mit Kopfhörern auf dem Bett. Das geht auch in einer Etagenwohnung.
Kleine Kinder schmutzen und brauchen Platz. Große tauchen nur auf, wenn das WLAN nicht performt.
Aber ich halte den Weg für falsch. In dieser Situation ist die Staatsraison (ist die Familie sicher) wichtiger als die Renditejagd. Es ist unfair, die Mathematik dazu zu missbrauchen die Zukunft einfach linear fortzuschreiben.
Was tun
- Depot verkaufen.
- Die Summe x auf dem Tagesgeldkonto bunkern.
- Haus kaufen. Haus, Notar, Makler, Grunderwerbssteuer in bar bezahlen.
- 40 Euro auf Seite legen.
- Mit dem Rest kann das Haus renoviert werden. Kein Cent mehr. Das schützt vor der Lebensstil-Inflation. "Hach Schatz, diese Kacheln sind sooo schön. Sie kosten auch nur 3 Euro mehr pro Quadratmeter." Er stimmt den Kacheln zu, aber nur, wenn sie das ok zu den zwei Kilometer GigaBit-LAN gibt, die er im neuen Haus verlegen will. Und schon sind wieder 1.000 € weg.
- Einziehen.
- Wenn die Kinder dann endlich im Bett sind, die unter 4. zurückgelegten 40 Euro nehmen, dafür Champagner kaufen und darauf anstoßen, dass man immer noch ein Paar ist.
- Die eingeplante monatliche Kreditrate wird der Grundstock für ein neues wunderbares ETF-Depot. Es gibt genug Menschen, die fangen mit 35 bei Null an. C. und seine Frau fangen börsenmäßig auch wieder bei Null an, sitzen aber in einem abbezahlten Haus. Was für ein Vorsprung. Wer so finanzgebildet und diszipliniert ist, sollte doch fähig sein in den nächsten 30 Jahren ein noch viel größeres Vermögen aufzubauen. Außerdem bietet der Neuanfang die Chance das Depot mit den neusten und billigsten Produkten altlastenfrei neu zu strukturieren.
Die Dekade von 35 bis 45 ist die streßreichste im Leben eines modernen Mitteleuropäers. Frei nach Mario Adorf in Kir Royal sollte jeder Stressor, der sich mit Geld beseitigen lässt unverzüglich mit einer Geldflut vom Tisch gespült werden. Die Rendite dieser Dekade heißt: Keine Scheidung.