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Ein Haus oder kein Haus - junge Leser am Scheideweg

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Leser P. fragt

Ich hab eine Frage zu einem gegebenenfalls in Zukunft anstehenden Kauf einer Immobilie und dem besparen von ETF-Sparplänen.
Wie sinnvoll oder wie minder sinnvoll ist diese Kombination? Ich möchte gerne demnächst damit beginnen zwei ETFs (World & EM) zu besparen.
Ob und wann ich eine Immobilie kaufe weiß ich nicht, aber ist es so sinnfrei beides gleichzeitig zu tun?
Sollte man dann lieber all sein Geld in die Immobilie "pumpen" und nicht weiter den ETF-Sparplan besparen – diesen also pausieren?
Oder sollte man trotzdem seine 150 € Sparrate in den ETF-Sparplan investieren und "nebenbei" die Immobilie abbezahlen?

Leser H. fragt

Was empfiehlst du sehr jungen Anlegern, die noch Jahre von den großen Entscheidungen des Lebens entfernt sind?
Ich selbst bin 23 und hätte nicht wenig Lust einen Teil meines Ersparten (rund 5.000 Euro) als Startbetrag in ein Depot zu stecken und dann regelmäßig mit 600 Euro jährlich zu besparen.
Jedoch: meine Zukunftsplanung ist noch total offen und dafür bin ich auch froh.Keine Ahnung ob ich viel rumkommen werde im Job oder mit 30 die ideale Arbeitsstelle finde, wo ich zunächst bleiben will. Die Hausfrage ist hier was mich quält, denn wäre es nicht besser, wenn man das Haus denn will, mit viel, sprich dem Gesamten, Eigenkapital an die Sache heran zu gehen ?
Oder besser 40 Jahre Zinseszinseffekt wirken lassen und dafür während einer Finanzierung nicht ans Alter denken müssen? Ich fände ich es sehr spannend wenn du auf diese Problematik der Ungewissheit der Zukunft in frühen Jahren eingehen würdest. Sicher gibt es viele junge Leute die sich genau deswegen um finanzielle Entscheidungen drücken.

Der Finanzwesir antwortet

Ah, endlich bitten junge Menschen um meinen Rat. Ein Verhalten, das ich bei meinen drei Töchtern schmerzlich vermisse. Grundsätzlich: Ich habe viel Sympathie und auch ein wenig Mitleid mit den jungen Leuten von heute.
In meiner Jugend (Abitur 1985), hatten wir

  • mehr Möglichkeiten als unsere Eltern. Das fand ich gut.
  • weniger Optionen, als unsere Kinder. Das finde ich auch gut.

Heute leben wir in einer Instant-Gesellschaft. Alles möglich und zwar sofort. Medien und Werbung gaukeln einem vor, man könne so leben

  • morgens macht man Karriere als Werktätiger,
  • abends ist kümmert man sich liebevoll um seine Kinder,
  • nachts gibt man die Sex-Bestie, auf das selbst die selige Beate U. schamrot geworden wäre.

In der noch freien Zeit dekoriert man sein trautes Heim, plant den Traumurlaub, kauft ein Traumauto denn das bisschen Haushalt macht sich ja von allein.

In diesem Tornado der Möglichkeiten muss man als junger Mensch erwachsen werden.

Was hilft?

Ganz grundsätzlich: Nein sagen. Und zwar zu allem und jedem. So wie an der Clubtür. Der Standard ist: "Du kommst nicht rein". Dann wählt der Türsteher sorgfältig aus, wer am heutigen Abend passt und der kommt rein.
Sie müssen der Türsteher Ihres Lebens sein. Passen Sie auf, wen oder was Sie in Ihr Leben lassen.

Ok, und was ist jetzt mit der Haussache?

Das Leben ist ein Trichter, je älter man wird, umso enger wird er. Zumindest was die Möglichkeiten angeht.

  • Wer nicht mit vier anfängt zu geigen, wird nie ein Weltklasse-Geiger
  • Wer nicht mit 13 auf’s Fußball-Internat kommt, wird es nicht in die Bundesliga schaffen.

Nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (vulgo Abitur) stehen einem junger Menschen alle Optionen offen. Er oder sie darf alles studieren. Grundsätzlich ist alles möglich, auch wenn in der Praxis der Numerus clausus dazwischen kommt.
Wer sich für Biologie entscheidet und nach dem vierten Semester feststellt: "Eigentlich wäre ich lieber Jurist.", kann nicht einfach umschwenken.
Die Entscheidung für die Biologie ist automatisch eine Entscheidung gegen alle anderen Studiengänge. Je radikaler der Wechsel, umso höher der Preis, den man zu zahlen hat.
Ein Biologie mag noch Chemiker werden können, aber ein Biologiestudent, der sich zum Juristen berufen fühlt, wird seine Bio-Semester abschreiben müssen. Diese Jahre sind verloren.

So geht das im Leben weiter. Jede Entscheidung, die man fällt, verringert die Optionen.

  • feste Beziehung => Schluss damit noch andere Vertreter des anderen Geschlechts zu bezaubern.
  • Wahl des Arbeitgebers: Wer nicht bei einem Konzern anfängt, wird nie bei einem Konzern arbeiten. Man geht vom Konzern in den Mittelstand, nie umgekehrt.

Hm, erwachsen werden ist doch nicht so soll. Alles wird enger und die Wände rücken näher.
Kann man so sehen, aber ich gebe zu bedenken: Wer Optionen aufgibt, hat die Chance die richtigen Dinge richtig zu machen. Wer freiwillig Optionen aufgibt, konzentriert sich auf das für ihn Wesentliche und kann auf diesen Gebieten Bedeutendes leisten.

In letzter Konsequenz bedeutet Erwachsen werden:

Fälle Deine Entscheidungen und lebe mit den Konsequenzen.

Wenn man es gewöhnt ist, um 22:30 Uhr noch fleißig mit dem Schwarm zu what’s appen, in welchem Club man sich denn um 23:00 Uhr trifft, ist das natürlich hart. Aber man kann sein Leben nicht ewig in der Schwebe halten, sonst endet man als Berufsjugendlicher, der mit 50 noch Chucks trägt.

Es gibt zwei Fundamental-Entscheidungen im Leben eines Menschen

  1. Heiraten und Kinderkriegen
  2. Eigene Immobilie ja/nein

Beide Entscheidungen verpflichten einen auf Jahrzehnte und beide Entscheidungen schränken einen sehr ein.

Der Weg zur eignen Immobilie

Möglichst viel Eigenkapital anhäufen. Jeder Euro im Eigenkapital verbessert die Konditionen der Bank. Die besten Konditionen kriegt der, der das Haus eigentlich bar bezahlen könnte. Niedrige Schuldzinsen verbessern die Rendite.
Wie kommt man zu Eigenkapital?
Man spart wie verrückt und versucht möglichst oft eine Gehaltserhöhung zu bekommen. Das gesparte Geld wird sicher auf einem Tages- oder Festgeldkonto verwahrt, denn man muss zum Zeitpunkt X eine genau definierte Summe zur Verfügung haben. Planbarkeit schlägt Rendite. Solange man die Inflation schlägt, ist alles gut.
Wertpapiere (Aktien, ETFs, Fonds) können das nicht leisten.
Wenn man dann in der Immobilie wohnt, gibt’s nur eins: Schulden tilgen.
Warum? Weil Schulden tilgen das beste Risiko/Rendite-Verhältnis hat. Das Risiko ist gleich Null und da Schuldzinsen höher sind als Guthabenzinsen, ist die Rückzahl-Rendite höher als die Rendite, die man mit Tages- oder Festgeld erwirtschaftet.

Der Weg als Mieter

Während der Hausbesitzer in spe einen Zeithorizont von maximal 10 Jahren hat, kann ein Mieter 30 bis 40 Jahre lang alle Börsenstürme aussitzen.
Deshalb kann er - im Rahmen seiner Risikotoleranz - in Wertpapiere investieren und von der höheren Rendite profitieren.
Wenn er dann aber doch auf einmal eine Immobilie haben will, kann es sein, dass sich sein Depot in südlichen Gefilden befindet und arg geschrumpft ist.

Gibt’s denn keinen Kompromiss?

Sie meinen, so etwas wie einen Bio-Juristen oder die eierlegende Wollmilchsau?
Nein, ich sehe da keinen Kompromiss. Die beiden Wege sind zu unterschiedlich und nur wer sich konsequent für einen Weg entscheidet, kann auch wirklich von den Vorteilen der jeweiligen Entscheidung profitieren.

Szenario 1

Sie gehen zur Bank gehen und sagen: "Ich will bauen und habe 70.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto, welche Konditionen kriege ich?"

Szenario 2

Sie gehen zur Bank gehen und sagen: "Ich will bauen. Meine ETFs sind zur Zeit 70.000 Euro wert. Welche Konditionen kriege ich?"

In Szenario 1 wird Ihnen die Bank die 70.000 Euro voll als Eigenkapital anrechnen, in Fall 2 vielleicht zu 30% bis 50%.

Leser P. fragt:

"Oder sollte man trotzdem seine 150 € Sparrate in den ETF-Sparplan investieren und "nebenbei" die Immobilie abbezahlen?"

Man zahlt eine Immobilie nicht "nebenbei" ab.

Wertpapier-Depot + Immo-Kreditschulden = Spekulation auf Kredit an der Börse

Ein absolutes No-go für jeden seriösen Anleger! Man versucht unter allen Umständen die Immobilie schuldenfrei zu bekommen, weil man nur so seine Handlungsfähigkeit wieder erlangt.
Solange die Immobilie noch der Bank gehört, ist man nicht Herr im Haus.

Szenario 3

Sie zupfen jedes Jahr ein Gänseblümchen und murmeln dabei: "Ich will bauen, ich will doch nicht bauen, ich will…". Mit 40 sagen Sie: "Nee, war doch nix, ich bleibe Mieter."
Dann haben Sie Ihr Geld 10 Jahre auf einem Tagesgeldkonto abhängen lassen, anstatt es zur Vermehrung an die Börse zu schicken. Auch dumm.

Fazit

"Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß." So soll’s sein bei der Entscheidung für oder gegen die eigene Immobilie.
So läuft das aber nicht bei den Fundamental-Entscheidungen im Leben.
Deshalb lieber P. und lieber H.: Entscheidet euch für eine Variante und steht dazu.
Oder um es mit Lemmy von Motörhead zu sagen:"Man kann nicht alles haben im Leben. Wo soll man es auch hinstellen."

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