
Kennen wir Finanzwesir, das ist die Inflation. Stimmt, aber ich habe noch eine ausgegraben: Die Volatilität.
Ok, lass hören.
Es geht um den "volatility drag" - den vermögenswirksamen Bremseffekt durch Kursschwankungen.
Ich vermute, Ihnen geht es wie mir. Wenn ich auf den Depotauszug schaue, will ich wissen: Wieviel Geld habe ich? Das ist meine Kennzahl als Anleger, denn ich möchte das Wachstum meines Vermögens maximieren. Mit so Zeug wie Sharpe-Ration und anderen Kennzahlen habe ich nie viel anfangen können.
Mich interessiert nur: Wie kann ich mein Vermögen maximieren?
Das Leben ist eine Zeitreihe
Der Wert meines Vermögens ist kumulativ. Das Endvermögen des Jahres x ist das Startvermögen des Jahres x+1. Die einzelnen Renditen hängen aneinander wie die Perlen an einer Kette. Der Fachmann sagt: Da brauchen wir ein multiperiodisches Rahmenwerk für die Renditeberechnung. Dieses multiperiodische Rahmenwerk heißt Geometrische Rendite.
Schauen wir uns an, wie sich dieses Vermögen entwickelt.
Jahr | Startvermögen | Rendite | Rendite in € | Endvermögen |
---|---|---|---|---|
1 | 1.000,00 € | 5% | 50,00 € | 1.050,00 € |
2 | 1.050,00 € | 10% | 105,00 € | 1.155,00 € |
3 | 1.155,00 € | 20% | 231,00 € | 1.386,00 € |
4 | 1.386,00 € | -50% | - 693,00 € | 693,00 € |
5 | 693,00 € | 20% | 138,60 € | 831,60 € |
Mit Mathematik hat das nichts zu tun. Das sind die Daten vom Kontoauszug. Ich habe in fünf Jahren 168,40 Euro verloren. Das sind -16,8 Prozent meines Startkapitals. Und da brauche ich auch keine Sharpe-Ratio oder so was. Ich bin sauer! Ich will mehr Geld, nicht weniger.
Geometrische Rendite berechnen
Die Formel lautet Geometrische Rendite = [Produkt von (1 + Rendite des Jahres n)] ^ (1/n) - 1
Wir müssen erst unsere Renditen mulitplizieren und dann die n-te Wurzel daraus ziehen. Ausgeschrieben sieht das so aus:
- Erst mal alle Renditen multiplizieren: (1 + 0,05)* (1 + 0,1)* (1 + 0,2) * (1 + (-0,5)) * (1 + 0,2) = 0,83
- Dann die fünfte Wurzel aus 0,83 ziehen: 0,83 ^(1/5) = 0,96
- Dann davon eins abziehen: 0,96 -1 = - 0,04
- Dann multiplizieren wir das noch mit 100, um auf Prozente zu kommen und erhalten so eine jährliche Rendite von - 4 %.
Arithmetische Rendite berechnen
Die arithmetische Rendite addiert. In unserem Fall sieht das so aus
(5 % + 10 % + 20 % - 50 % + 20 %)/5 = 1 %
Arithmetische versus geometrische Rendite
Da wo die geometrische Rendite multipliziert, addiert die arithmetische Rendite. Besonders klar wird das im Pleitefall.
Jahr | Startvermögen | Rendite | Rendite in € | Endvermögen |
---|---|---|---|---|
1 | 1.000,00 € | 5% | 50,00 € | 1.050,00 € |
2 | 1.050,00 € | 10% | 105,00 € | 1.155,00 € |
3 | 1.155,00 € | 20% | 231,00 € | 1.386,00 € |
4 | 1.386,00 € | -50% | - 693,00 € | 693,00 € |
5 | 693,00 € | -100% | - 693,00 € | - € |
Im fünften Jahr erleidet unser Investor Schiffbruch. Minus 100 % bedeutet Totalverlust. Und null mal irgendwas bleibt null. Die geometrische Rendite ist Null und der Blick auf den Kontoauszug bestätigt diese traurige Realität. Die arithmetische Rendite ist mit - 23 % dagegen im "Es-ist-hart-aber-wir-schaffen-das"-Modus. Ein, zwei gute Börsenjahre und das ist wieder aufgeholt.
Nein, schaffen wir nicht. Wer pleite ist, darf nicht mehr mitspielen.
Mathematisch hängen die beiden Renditen wie folgt zusammen
Geometrischer Mittelwert = arithmetischer Mittelwert minus die Varianz der Rendite
Der geometrische Mittelwert ist der arithmetischer Mittelwert abzüglich einer Risikokorrektur.
Volatility Drag
Für uns als Anleger bedeutet das: Je höher die Schwankungen, umso kleiner wird der geometrische Mittelwert. Aber der geometrische Mittelwert ist das, was unseren Wohlstand bestimmt. Also muss der so groß wie möglich sein. Am besten so groß wie der arithmetische Mittelwert. Das klappt nur, wenn die Volatilität klein ist.
Und das ist er, der renditeschädliche Volatility Drag.
Ist es denn besser, wenn die Volatilität spät zuschlägt? Dann habe ich ja schon Flughöhe und kann mir einen Verlust eher leisten.
Schauen wir mal nach
Halbierung am Ende
Mein Verlust: 831,60 Euro - ganz schön viel Geld, wenn man bedenkt, dass ich mit 1.000 Euro angefangen habe
Jahr | Startvermögen | Rendite | Rendite in € | Endvermögen |
---|---|---|---|---|
1 | 1.000,00 € | 5% | 50,00 € | 1.050,00 € |
2 | 1.050,00 € | 10% | 105,00 € | 1.155,00 € |
3 | 1.155,00 € | 20% | 231,00 € | 1.386,00 € |
4 | 1.386,00 € | 20% | 277,20 € | 1.663,20 € |
5 | 1.663,20 € | -50% | - 831,60 € | 831,60 € |
Halbierung am Anfang
Mein Verlust: 500 Euro, immer noch viel Geld, aber 331,60 Euro weniger, als im obigen Fall.
Jahr | Startvermögen | Rendite | Rendite in € | Endvermögen |
---|---|---|---|---|
1 | 1.000,00 € | -50% | - 500,00 € | 500,00 € |
2 | 500,00 € | 10% | 50,00 € | 550,00 € |
3 | 550,00 € | 20% | 110,00 € | 660,00 € |
4 | 660,00 € | 5% | 33,00 € | 693,00 € |
5 | 693,00 € | 20% | 138,60 € | 831,60 € |
Fazit - Volatility Drag
331,60 Euro hin oder her: Mein Endvermögen ist identisch. Ich besitze 831,60 Euro. Muss auch so sein; weil: Kommutativgesetz.
Kommutativgesetz, Gott,was war das denn noch mal?
Das Kommutativgesetz sagt: a * b = b * a - man darf die Faktoren rumschubsen.
Die geometrische Rendite ist Kommutativgesetz plus ein bisschen Schnickschnack. Unter der Wurzel spielt die Reihenfolge der Renditen keine Rolle.
Geometrisches Wachstum ist nicht linear (weil Wurzelfunktion, das ist der Schnickschnack) und in nicht linearen Systemen ist Volatilität kritischer als die erwartete Rendite. Ein einziges wirklich schlechtes Jahr kann alles kaputt machen oder doch zumindest auf Jahrzehnte beschädigen.
Nehmen wir wieder unser Beispiel von oben
Jahr | Rendite |
---|---|
1 | 5% |
2 | 10% |
3 | 20% |
4 | -50% |
5 | 20% |
Die Renditen schwanken von - 50 % bis 20 %, ein Delta von 70 Prozentpunkten.
Jetzt reduziere ich die Achterbahn. Ab sofort gilt
- Jahr 3: Nur noch 10 % statt 20 %
- Jahr 4: - 30 % statt - 50 %
- Jahr 5: 10 % statt 20 %
- Die Volatilität läuft von - 30 % bis 10 %, das sind nur noch 40 Prozentpunkte.
Jahr | Startvermögen | Rendite | Rendite in € | Endvermögen |
---|---|---|---|---|
1 | 1.000,00 € | 5% | 50,00 € | 1.050,00 € |
2 | 1.050,00 € | 10% | 105,00 € | 1.155,00 € |
3 | 1.155,00 € | 10% | 115,50 € | 1.270,50 € |
4 | 1.270,50 € | -30% | - 381,15 € | 889,35 € |
5 | 889,35 € | 10% | 88,94 € | 978,29 € |
Das Ergebnis:146,70 Euro mehr. Die geometrische Rendite hat sich von - 4 % auf - 0,4 % verbessert. Und das, obwohl ich in Jahr drei und fünf die Rendite mal schlankweg halbiert habe. Die "Loch-Auffüllerei" in Jahr vier hat’s gebracht. Das sind die Auswirkungen der Nicht-Linearität. So etwas muss man sich ausrechnen. Nichtlinearitäten im Kopf zu jonglieren - dafür ist der Mensch nicht gemacht.
Das meint Warren Buffett mit seinem Spruch
"Nie Geld verlieren."
Denn wenn ich das Beispiel ganz ins Extreme verbiege und mit den 10 % der Jahre zwei, drei und fünf das 30 %-Loch auffülle, dann wird meine geometrische Rendite - dank der fünf Prozent im ersten Jahr - positiv (0,98 %). Vier Jahre lang Nullrenditen ist also besser, als drei Jahre 10 % zu bekommen und in einem Jahr 30 % abzugeben.
Was tun als Anleger?
Na, ganz einfach: Runter mit der Volatilität, rein ins Tagesgeld. Beim Tagesgeld sind arithmetische und geometrische Rendite gleich. Da gibt es keinen Volatility Drag.
Ja super Finanzwesir, Dein Nullrenditenbeispiel ist ja interessant, um das Prinzip zu verdeutlichen, aber wir hier im echten Leben haben Gebühren und Steuern zu zahlen und müssen die Inflation bekämpfen. Da brauchen wir schon ein bisschen mehr. Sonst wird das nichts mit der Altersvorsorge.
Korrekt. Und genau das ist das Dilemma. Rendite und Risiko sind dann eben doch gekoppelt. Was nicht schwankt, ist nichts wert.
Unsere Rettung: Die Diversifikation. Wir betrachten nicht mehr die einzelne Anlageklasse, sondern das gesamte Depot.
Aber: Es geht nicht darum, die Volatilität auf Kosten der Rendite zu reduzieren. Sondern es geht darum, die das Vermögen durch Aufzinsung über die Jahre zu mehren.
Risikominderung soll die jährliche Wachstumsrate steigern!
Unsere Aufgabe als Anleger ist es, die verschiedenen Anlageklassen so zu kombinieren, dass die Volatilität des gesamten Depots gemindert wird, nicht aber die Renditen. Eine Verwässerung durch Cash ist in den seltensten Fällen sinnvoll.
In diesem Sinne: Bleiben Sie optimistisch aber defensiv. Wenn Sie noch auf der Suche nach für Sie passenden Anlageklassen sind: Hier entlang.
Fazit
Hohe Renditen sind kein Wert an sich. Erst in Begleitung von niedriger Volatilität werden sie attraktiv.