Wenn Disruption falsch bewertet wird:
"Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird 1.000.000 nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.
Gottlieb Daimler
Die arme Disruption muss für alles Mögliche herhalten.
Fall 1
Da hat jemand die technische Entwicklung verpennt. Wacht auf, fühlt sich überrollt und schreit "Disruption" um nicht zugeben zu müssen, dass er einfach ein paar digitale Transformationen verschlafen hat.
Merke: Wer ein Papierformular digitalisiert und in seine Web-Site einbindet ist noch kein Disruptor. Digitale Transformation kann ziemlich mühsam sein und auch weh tun.
Es ist einfacher zu jammern: "Wir wurden disruptiert", als die Tatsache zuzugeben "Wir haben unsere Digital-Hausaufgaben nicht gemacht". Denn wer disruptiert wurde, kann geschwind eine Arbeitsgruppe samt Lenkungskreis gründen und ansonsten so weiter machen wie bisher.
Wer macht schon gerne Hausausgaben, wenn er einen Wichtelkongress zum Thema Disruption besuchen kann.
Fall 2
Angehender Startup-CEOs will den revolutionär-visionären Approach seines neuen Ladens so richtig zum Leuchten bringen und disruptiert gewaltig vor den Geldgebern herum.
Bedeutet in diesem Zusammenhang: Bis nächsten Mittwoch ist die Weltherrschaft errungen und jetzt her mit der Kohle.
Disruption?
Dabei ist das Modewort Disruption ist nichts Neues. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um die von Schumpeter eingeführte "Schöpferische Zerstörung".
In seinem Buch "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" schreibt Schumpeter im siebten Kapitel:
"Die Eröffnung neuer, fremder oder einheimischer Märkte und die organisatorische Entwicklung vom Handwerksbetrieb und der Fabrik zu solchen Konzernen wie dem U.S.-Steel illustrieren den gleichen Prozess einer industriellen Mutation – wenn ich diesen biologischen Ausdruck verwenden darf –, der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert², unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft.
Dieser Prozess der "schöpferischen Zerstörung" ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muss auch jedes kapitalistische Gebilde leben.
Anm.² Diese Revolutionen sind nicht eigentlich ununterbrochen; sie treten in unsteten Stößen auf, die voneinander durch Spannungen verhältnismäßiger Ruhe getrennt sind. Der Prozess als ganzer verläuft jedoch ununterbrochen – in dem Sinne, dass immer entweder Revolution oder Absorption der Ergebnisse der Revolution im Gange ist; beides zusammen bildet das, was als Konjunkturzyklus bekannt ist."
Digitale Transformation = Fortlaufender, in digitalen Technologien begründeter Veränderungsprozess (Quelle).
Hier noch ein paar mehr Definitionen, die aber alle das Evolutionäre betonen ("ongoing digital evolution").
Beispiel: Vinyl-LP zur CD. Presswerke und Händler werden weiterhin benötigt.
Disruption = Kommt vom englischen "to disrupt" und bedeutet "unterbrechen" beziehungsweise "stören". Disruptive Innovationen ersetzen eine bestehende Technologie oder Dienstleistung indem Sie das Problem auf eine komplett andere Art und Weise lösen. Am Anfang oft in einer Qualität, die nicht an das Angebot der etablierten Player herankommt.
Beispiel: Musik-Streaming, keine CD-Qualität, für Audiophile nicht geeignet, aber gut genug für den Quäk-Lautsprecher eines Handys. Es kommt zum Bruch im Prozess, Presswerke und Händler fliegen raus.
Wer genau hinsieht stellt fest: Echte Disruptionen gibt es nicht so häufig. Das meiste ist alter Wein in neuen Schläuchen. Digitale Transformation, die uns als tolle Disruption verkauft wird.
Vielleicht bin ich deshalb so skeptisch, weil ich seit 30 Jahren dieses Digitalzeug mache und ich deshalb fast alles als logische (sprich evolutionäre) Weiterentwicklung des Bestehenden ansehe. Vielleicht ist das der Preis, den man für ein Berufsleben ohne HR und Compliance zahlen muss. Man staunt weniger.
Daniel sieht das etwas anders, deshalb ist das einer der netten Podcasts geworden, bei dem er rechts abbiegt, während ich finde: Linksrum ist der bessere Weg.
Zusammen schauen wir uns im Podcast an, welche Finanz-Disruptionen es gibt: Blockchain, Robo-Advisors, P2P und Crowdfunding, Alipay und WeChat aus China, M-Pesa aus Kenia, Chatbots, Finanzblogs. Sind das digitale Weiterentwicklungen oder Disruptionen?
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Die Disruption. Gut für die Gesellschaft, ärgerlich für die Betroffenen. Da hat man es sich gerade mit einem Bier auf der Terrasse gemütlich gemacht, kommt die Disruption vorbei und schon geht das Gerenne wieder los.
Das Blöde: Die Disruption hat das Innovator’s Dilemma im Schlepptau.
Das "Innovator’s Dilemma" besteht darin, dass etablierte Unternehmen alles richtig machen:
- Sie liefern, was ihre Kunden wollen,
- Sie analysieren den Wettbewerb,
- Sie haben tiefe Taschen und investieren viel Geld in neue Technologien um das zu liefern, was ihre Kunden wollen.
Trotzdem scheitern sie an mickrigen aber disruptiven Startups und verlieren.
Der Harvard-Prof Clayton Christensen hat das in seinem Buch "Innovator´s Dilemma" wie folgt beschrieben:
Disruption ist unlogisch und in den Augen der Etablierten auch unsinnig, denn sie richtet sich nicht nach den Kundenwünschen. Die Produkte sind weniger leistungsfähig, die Margen geringer und das Marktsegment ist klein. DEC hat so lange verächtlich auf die hässlichen beigen PC-Kisten herabgesehen, bis es zu spät war.
Die vernünftige Reaktion eines Managers auf eine disruptive Innovation besteht darin, auf Kosten der Innovation seine Erfolge aus der Vergangenheit auszubauen. Er hat einen starken Anreiz, dies zu tun, denn die Alternative sieht dem Scheitern zum Verwechseln ähnlich. Kein DEC-Manager, der seine fünf Sinne beisammen hat, wäre jemals auf die Idee gekommen einem seiner Kunden eine dieser leistungs- und margenschwachen PC-Gurken anzubieten. Selbst wenn die Kunden ihm den Kram abgenommen hätten - seine Umsatzvorgaben hätte er nie erfüllen können. Das wäre beruflicher Selbstmord gewesen.
Merke: Disruptiv ist immer der Straßenköter, der nichts zu verlieren hat.
Medienempfehlungen des Finanzwesirs
The Innovators Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren* von Clayton M. Christensen
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